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Staub liegt auf den Ehrentellern

Der älteste Kaninchenzüchterverein Deutschlands in Chemnitz wird 135 Jahre alt - seine Aussichten sind trübe

  • Ralf Hübner, Chemnitz
  • Lesedauer: 3 Min.
Den ältesten noch aktiven Verein von Kaninchenzüchtern in Deutschland gibt es in Chemnitz (Sachsen). Doch die beste Zeit hat er wohl hinter sich - es fehlt der Nachwuchs.

Eine lange Geschichte - doch viel ist davon nicht geblieben. Verstaubte Ehrenteller aus Holz an der Wand des Vereinsheims erinnern an frühere Jahrestage - den 75., den 80. und den 125. Der wohl älteste noch aktive Rassekaninchenzüchterverein Deutschlands - der Chemnitzer »Alte Verein« in Sachsen - wird 135, und das wird gefeiert. Doch dem Verein scheint jetzt die Luft auszugehen.

»Wir haben noch elf Mitglieder, das Durchschnittsalter liegt bei etwa 67 Jahren«, sagt der Vorsitzende Wolfgang Klammek. Der 69-Jährige ist seit 2007 Vereinschef. Laut dem Zentralverband Deutscher Rasse-Kaninchenzüchter (ZDRK) in Münchberg sind der Mitgliederschwund und die Überalterung bei den Kaninchenzüchtern jedoch bundesweit zu beobachten. - »Die Gründung war im Restaurant ›Bienenstock‹ am 12. April 1880«, sagt Steffi Gottschald, die Sprecherin des Chemnitzer Stadtverbandes, zu dem auch der »Alte Verein« gehört. Die 31-Jährige hat sich wegen des Jubiläums auf Spurensuche gemacht. Ein mühevolles Unterfangen: »Es gibt nicht mehr viele Unterlagen.« Gottschald zufolge soll der Verein schon wegen der Tradition unbedingt erhalten werden. Denkbar seien etwa Doppelmitgliedschaften.

In Deutschland gibt es laut ZDRK derzeit rund 400 anerkannte Kaninchenrassen. Am Beginn der breiten Kaninchenzüchterei in Deutschland stand der Deutsch-Französische Krieg von 1870/71. Die deutschen Soldaten hatten gesehen, wie die Tiere im Nachbarland in kleinen Ställen gehalten wurden. Vor allem in den rasch wachsenden Industriegebieten wie in Sachsen erwies sich die Methode für die armen Leute als praktikable Möglichkeit, sich auf engem Raum mit frischem Fleisch zu versorgen. In der DDR wurden Fleisch und Felle von der Wirtschaft gebraucht. »Großzügige Aufkaufpreise haben den Züchtern zu netten Nebeneinkommen verholfen«, erinnert sich Klammek. Mancher Verein in und um Chemnitz habe damals mehr als 100 Mitglieder gehabt. Mit der Wende verschwand der finanzielle Anreiz. Für einige Felle werden jetzt wieder bis zu einem Euro gezahlt, für manche sogar bis zu sieben. Doch den Kaninchenzüchtern geht der Nachwuchs aus. »Viele sind in den Westen gegangen oder haben keine Zeit mehr, es kommen kaum junge Leute nach«, sagt Klammek. »In der Stadt ist es schwer, neue Mitglieder zu gewinnen.« Da fehle zur Kaninchenhaltung meist der Platz für Stallungen.

Der Stadtverband Chemnitz hat nach eigenen Angaben noch 15 Vereine mit zusammen 202 Mitgliedern - 14 davon sind Kinder oder Jugendliche. 2008 waren es noch 17 Vereine und 231 Züchter. »Es gibt vor allem in den mehr ländlichen Räumen auch jüngere Vereine mit einem Durchschnittsalter um die 40 Jahre«, sagt Steffi Gottschald. Denn: Laut Zentralverband ist die Zahl der Mitglieder in den rund 5000 Kaninchenzüchtervereinen in den vergangenen Jahren von rund 180 000 auf jetzt etwa 130 000 geschrumpft. »Es gibt Überalterung«, sagt ZDRK-Sprecher Wolfgang Elias. »Das ist der demografische Wandel.« Dennoch sei er optimistisch. »Irgendwann wird die Talsohle erreicht sein. Es wird immer Rassekaninchenzüchter geben.«

In Sachsen ist die Zahl der Mitglieder in den Vereinigungen laut Landesverband von 2012 bis 2015 von rund 8400 auf etwa 7750 zurückgegangen. Gegen den Mitgliederschwund gebe es aktuell kein Mittel, hieß es. Kaninchenzucht sei mit großem Aufwand verbunden.

Rund eine Stunde dauert es, ehe Steffi Gottschald alle Tiere - ihre und die von Familienmitgliedern - gefüttert hat. Immerhin stehen auf dem mit Büschen und Bäumen bewachsenen Grundstück in Mühlau bei Chemnitz 170 Buchten. Es riecht nach Heu. Alle 14 Tage wird ausgemistet. »Das dauert einen ganzen Tag.« Gottschald ist mit der Züchterei groß geworden. Ihr Opa war Züchter, der Vater auch, die Mutter, der Bruder - ihren Mann hat die studierte Geografin in einem Züchterklub kennengelernt. 2013 sei sie mit einem ihrer Thüringer Rexe - einer Neuzüchtung mit stehenden Ohren, dunkelbraunem Fell und schwarzen Zeichnungen - Bundessiegerin geworden. Vor allem Weihnachten und Ostern enden einige der Tiere als Festbraten. »Man kann nicht alle Tiere behalten«, sagt Gottschald. dpa/nd

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