Die Pampa ruft

In Westmecklenburg breiten sich südamerikanische Nandus aus - zum Ärger mancher Bauern

  • Iris Leithold, Schlagsdorf
  • Lesedauer: 4 Min.
Wer Nandus in freier Flur beobachten will, muss nicht nach Südamerika fliegen. In Deutschlands Norden fühlen sich über 100 wild lebende Nandus wohl. Die Riesenvögel haben aber nicht nur Freunde.

Seltsame große, graue Vögel mit langem Hals und langen Beinen staksen über die Felder der sanfthügeligen norddeutschen Landschaft. Im Grenzgebiet von Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein steht Frank Philipp auf einem Hügel, das Fernglas vor Augen, und zählt: »Ein Hahn, sechs Hennen.« Der Umweltplaner trägt die Tiere in eine Karte ein. Er ist im Auftrag des Schweriner Umweltministeriums unterwegs. Philipp zählt Nandus, wild lebende Nandus. Ihre Heimat ist die südamerikanische Pampa, doch seit einigen Jahren breiten sie sich in Norddeutschland aus.

Rund 120 Tiere haben Philipp und seine Mitstreiter bei der Frühjahrszählung im etwa 100 Quadratkilometer großen Verbreitungsgebiet östlich des Ratzeburger Sees ausfindig gemacht. Die flugunfähigen Laufvögel mit dem lateinischen Namen Rhea americana zu entdecken, ist nicht schwer. Sie lieben die offene Landschaft und sind wenig scheu. Der Spaziergänger kommt ihnen näher als einem Reh. Die Nandu-Zähler haben diesmal etwas weniger Tiere gefunden als im Herbst. Damals wurden 144 gezählt. Es sei normal, dass nicht alle Jungtiere den Winter überleben, sagt Philipp, steigt in den Geländewagen und fährt über Feldwege zu seinem nächsten Beobachtungsposten. Von dort überblickt er ein renaturiertes Moor, auf dessen weiten Wiesen Rinder grasen. Zwischen ihnen zupfen Nandus am frischen Grün. »So ungefähr sieht es in Südamerika aus«, erzählt er. Dort seien die Nandus allerdings vom Aussterben bedroht. Besitzer von Rinderherden würden sie als Futter-Konkurrenten jagen, ihr Fleisch werde dort auch verzehrt.

In Deutschland halten Liebhaber die leicht zu zähmenden Nandus zur Freude. Im Gegensatz zum Strauß gilt ihr Fleisch hierzulande nicht als Delikatesse. Immer wieder büxen Tiere aus privaten Gehegen aus. Auf wenige Exemplaren aus einer Haltung bei Lübeck, denen von den 1990er Jahren bis zur Schließung des Geheges 2008 die Flucht gelang, soll die wilde Population von Nordwestmecklenburg zurückgehen. Sie ist stabil und zeigt die Tendenz zur Ausbreitung nach Osten, sagt Philipp. Im Westen stelle der Ratzeburger See eine natürliche Grenze dar. Einige Nandus wurden jedoch auch schon im nahen Schleswig-Holstein gesichtet, wie es aus dem Kieler Umweltministerium heißt. Laut Schweriner Umweltministerium ist es die einzige bekannte Population in Mitteleuropa, die sich nach Ausbrüchen aus Gehegen etablieren konnte.

Bei Spaziergängern rufen die bis zu 1,40 Meter großen Nandus Staunen hervor, bei Landwirten Ärger. Die Geschäftsführerin des Kreisbauernverbandes Nordwestmecklenburg, Petra Böttcher, sieht in der massiven Ausbreitung der Vögel ein wachsendes Problem. »Sie beißen gerne die Rapsblüten ab und zertreten sie auch«, sagt sie. Die Pflanze trage dann keine Früchte. Wo viele Nandus seien, entstehe großer Schaden.

Die Bauern fordern, die Population reduzieren zu dürfen, wenn sie überhand nimmt. Außerdem sollten die Tiere in den Katalog der Wildschadenskasse aufgenommen werden. »Wenn Wildschweine das Feld umwühlen, kann ein Landwirt Schadenersatz bekommen«, sagt Böttcher. Bei Schäden durch Nandus gebe es nichts. Nandus sind kein jagdbares Wild, sondern stehen auf der Artenschutzliste. »Man darf sie nicht einmal verscheuchen, sondern muss sie auf dem Acker dulden.« Die Behörden sehen aber bislang keinen Anlass zum Eingreifen.

Wissenschaftler Philipp kann den Ärger nicht nachvollziehen. Die Schäden seien gering, sagt er. »40 Nandus fressen so viel wie eine Kuh.« Die Landwirtschaft fördere das Überleben der Nandus durch den großflächigen Rapsanbau. Raps wird im Herbst gesät und geht vor dem Winter auf. Das biete den Tieren gute Voraussetzungen, um über die kalte Zeit zu kommen, so Philipp. Natürliche Feinde hat der erwachsene Nandu in Deutschland nicht. Lediglich die Küken und Jungtiere können Opfer von Füchsen und Seeadlern werden. Von Autos werden jährlich ein bis drei Tiere überfahren, berichtet der Forscher.

Mit einer reichen Brut sorgt der Nandu dafür, dass die Verluste nicht zu sehr ins Gewicht fallen. Einen Hahn begleiten stets mehrere Hennen. Sie legen in sein Nest im Lauf der warmen Jahreszeit bis zu 30 Eier - die der Hahn dann ausbrütet. dpa/nd

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