»...damit nichts vergessen wird!«

Einstige Häftlinge des KZ-Buchenwald, ihre Familien und Freunde trafen sich zum Gedenken an die Selbstbefreiung

  • Doris Weilandt
  • Lesedauer: 4 Min.
Tausende Menschen aus vielen Ländern gedachten mit noch lebenden Überlebenden des KZ-Buchenwald der Befreiung - und der 56 000 Toten, die die SS auf dem Ettersberg bei Weimar ermordet hat.

»Ich bin hier, damit das nicht vergessen wird«, sagt David Perlmutter, der als siebenjähriger im Dezember 1944 mit seinem Vater aus einem Lager weiter im Osten nach Buchenwald kam. Überlebt hat er in Block 8 durch die schützende Hand des Kommunisten Wilhelm Hammann, der als Blockältester fast 160 jüdische Kinder vor der SS rettete. Dafür wurde er von Israel als »Gerechter unter den Völkern« geehrt.

Perlmutter erinnert sich genau an die letzte Begegnung mit seinem Vater, der ihm immer etwas zu Essen zugesteckt hat. Bei diesem Treffen nicht. Am nächsten Tag habe er gefühlt, dass er nicht mehr da ist. Er wurde auf einen Todesmarsch ins Ghetto nach Theresienstadt geschickt. Dort ist er am 25. April gestorben.

Richtig wütend wird Perlmutter, wenn er an den ausgestellten Totenschein denkt. Die Alliierten und damit das Ende der Qualen waren nahe, doch zwei deutsche KZ-Ärzte erfüllten die Bürokratie bis zum Schluss. Sie stellten Totenscheine aus, auf denen sie eine ganz normale Todesursache bescheinigten. So, als wäre nichts Außergewöhnliches geschehen.

Für die Nazimörder wurde »ich schuldig, nur weil ich geboren wurde. Im Lager bin ich zum Juden geworden«, erklärt der Franzose die nationalsozialistische Logik. Er muss seine qualvolle Geschichte noch oft erzählen an diesem 11. April auf dem Gelände des Appellplatzes in Buchenwald. Viele junge Menschen sind hier, um mit ehemaligen Häftlingen ins Gespräch zu kommen.

Auf dem Ettersberg bei Weimar hält der Frühling Einzug - ähnlich wie Floréal Barrier, der Vorsitzende des Beirats ehemaliger Häftlinge das Wetter vor 70 Jahren beschreibt: »... frühlingshaft… Ich ging in die Freiheit, bewaffnet mit einem Gewehr!«.

Am Samstagvormittag hatten Familienangehörige von Häftlingen aus Deutschland, Polen und Frankreich zwölf Bäume in der Nähe der einstigen »Blutstraße« gepflanzt. Mit der Aktion »1000 Buchen« wollen sie sich einen Ort des Erinnerns und Gedenkens schaffen. Über die »Blutstraße« trieb und karrte die SS einst die Häftlinge in das Lager.

Anlässlich des Befreiungsjubiläums setzten Vertreter der katalanischen Regierung und des Internationalen Komitees von Buchenwald-Dora für die spanischen Republikaner, die nach dem Bürgerkrieg ins KZ gesperrt wurden, einen Gedenkstein, der an ihren Einsatz gegen den Faschismus erinnern soll. Politiker und der Sohn eines Häftlings, Enric Garriga, sprachen über ihre Landsleute, die für Freiheit und Demokratie eingetreten sind und versicherten den Familien der Opfer: »Ihr seid nicht allein. Euer Kampf ist unser Kampf!«.

Bei der Enthüllung des Steins stehen einige ehemalige Häftlinge zusammen, halten sich an den Händen. Günter Pappenheim beschwört stellvertretend für alle die Kameradschaft zwischen den Häftlingen verschiedener Völker. »Nie wieder« darf es Faschismus geben. Rote Fahnen mit dem Bild von Ernst Thälmann, dem Führer der deutschen Kommunisten, der ebenfalls in Buchenwald umgebracht worden ist, wehen über dem Halbkreis der Zuhörer. Für die Fahnenträger interessiert sich der Architekt Stephan Jacobs aus New York. Er hat den Gedenkstein für die Spanier geschaffen. Mit fünf Jahren kam er wie Perlmutter aus einem Lager im Osten nach Buchenwald.

Buchenwald wird keiner wieder los. Bertrand Herz, ein französischer Ingenieur und Hochschullehrer jüdischer Herkunft, der als Jugendlicher im KZ Buchenwald Zwangsarbeit leisten musste, ist heute Präsident des Internationalen Komitees Buchenwald-Dora. Er hat dieser Tage seine Memoiren in Weimar vorgestellt. Titel: »Ich war 14 und im Konzentrationslager«. Nach seiner Befreiung wollte er in Paris ein ganz normales Leben führen, wollte nicht, dass seine Umgebung von der Inhaftierung erfährt. Erst zu Beginn der 1990er Jahre brach er sein Schweigen über die Vergangenheit. 1993 kam er das erste Mal wieder nach Buchenwald.

»Ich bin hier zu Hause«, stellte er erschüttert fest. Auch nach so vielen Jahren und obwohl die Baracken nicht mehr standen, erkannte er alles wieder. Im Juli 1944 deportierten die Nazis die gesamte Familie von Toulouse nach Deutschland. Als er mit seinem Vater und dem Verlobten der Schwester in Buchenwald ankam, hatten sie keine Ahnung, wo sie sich befinden. Doch der Geruch des Todes war bald allgegenwärtig. Der Vater starb im Außenlager Niederorschel, während Herz zwölf Stunden täglich in der Rüstungsproduktion für Junkers schuftete. Kapo Otto Hermann rettete den 14-Jährigen: »Der Vater ist tot, der Sohn muss leben.«

Die Uhr über dem Eingangstor mit dem zynischen Spruch »Jedem das Seine« steht auf 15.15 Uhr. Das ist die Zeit, zu der am 11. April 1945 die 21 000 Überlebenden des KZ den Satz aus dem Lautsprecher des Lagerfunks hörten: »Kameraden, wir sind frei!« Ehemalige Gefangene und Teilnehmer des Gedenkens verharrten in einer Schweigeminute. Sie erneuern den Schur der befreiten Häftlinge: Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!

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