Wieder nur Kosmetik

Behindertenverbände: Geplantes Bundesteilhabegesetz könnte an der Finanzierung scheitern

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 3 Min.
In Deutschland gibt es Uneinigkeit in der Frage, wie die Finanzierung der Eingliederungshilfe von Behinderten auf Bund, Länder und Kommunen verteilt wird.

Endlich könnte es einen deutlichen Schritt vorwärtsgehen bei der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention: Am Dienstag fand die abschließende Konsultation im Bundesministerium für Arbeit und Soziales zum geplanten Bundesteilhabegesetz statt. Es soll im nächsten Jahr verabschiedet werden.

Aber der Teufel liegt im Detail - allerdings sind diese Details nicht unbekannt. Die Bundesregierung sollte über die bis dato verschiedene Lastenverteilung von Ländern und Kommunen bei der Finanzierung der Eingliederungshilfe informiert sein. Gerade aber wurden bereits fließende Ausgleichszahlungen vom Bund an die Kommunen in Höhe von fünf Milliarden Euro jährlich von dem geplanten Gesetz abgekoppelt. Wenn es dabei bleibt, stellen sich nicht nur Fragen zur Finanzierung. Laut Koalitionsvertrag soll das Vorhaben kostenneutral umgesetzt werden. Deshalb befürchtet der Vorsitzende des Sprecherrates des Deutschen Behindertenrates, Ilja Seifert, dass es sich nur um kosmetische Maßnahmen handeln kann.

Offen ist auch, welche Kommunen in den Genuss der Ausgleichszahlung des Bundes kommen sollen. Alle? Oder nur die, die bisher die Ausgaben alleine wuchten, ohne Unterstützung ihrer Länder? Das ist nämlich sehr unterschiedlich. In Bayern zahlen die Kommunen zu 100 Prozent, in Sachsen-Anhalt trägt alle Ausgaben das Land. Einige Bundesländer haben sich nun nach Medienberichten gegen die Entscheidung ausgesprochen, die versprochenen fünf Milliarden Euro nur zur Entlastung von Kommunen zu zahlen.

Die eher verwaltungstechnische Debatte um die Geldflüsse lässt die inhaltlichen Fragen in den Hintergrund treten. Diesen kameralistischen Ansatz kritisiert auch Seifert, der bis 2013 behindertenpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag war: »Es geht nicht darum, ob Geld vom Bund zu den Ländern, von denen zu den Kommunen oder anders fließt. Es geht darum, dass die Menschen, denen diese Ressourcen zustehen, die Verfügungsgewalt darüber bekommen.«

Damit spricht er zugleich die Hauptforderung des Behindertenrates und der Wohlfahrts- und Fachverbände an: Die Leistungen der Eingliederungshilfe sollen endlich einkommens- und vermögensunabhängig gezahlt werden. Noch immer sei es so, dass diese Unterstützung nur Sozialhilfeberechtigten zugute komme. Die UN-Behindertenrechtskonvention sage etwas anderes: »Nicht: Wir müssen betteln. Es geht nicht um Wohlfahrt und Fürsorge. Es geht um Menschenrechte, um Anrechte, die befriedigt werden müssen«, so Seifert.

Seit 40 Jahren gibt es in der zunächst westdeutschen Behindertenbewegung, aber auch in der Politik die Forderung, die Kopplung an die Sozialhilfe zu kappen. Die jetzt übliche Praxis führt dazu, dass berufstätige Behinderte gerade einmal knapp den doppelten Sozialhilfesatz ihres Verdienstes behalten können, der Rest wird ihnen zum Beispiel auf die Bezahlung ihrer Assistenten angerechnet. Sparen für den Urlaub, für ein Auto oder andere große Ausgaben ist maximal bis zu einer Höhe von 2600 Euro möglich. Auch verheiratete Partner werden zur Finanzierung der Assistenz mit herangezogen.

Seifert bestreitet nicht, dass zur Finanzierung der Ausgaben große Beträge nötig sind. Er rechnet eher mit elf bis zwölf Milliarden Euro, die jährlich zur Entlastung der Kommunen gebraucht würden, statt der vorgesehenen fünf Milliarden Euro. Die meisten dieser Gelder erreichen die Betroffenen derzeit als Sachleistungen - über Werkstätten, Heime oder ambulante Dienste. Bei deren Gemeinkosten bleibe ein beträchtlicher Teil hängen. Das Modell der behinderten Arbeitgeber, die ihre Assistenten selbst einstellen und aus der Eingliederungshilfe bezahlen, wird nur selten - von 3000 Menschen - praktiziert. 2013 lebten 7,5 Millionen Schwerbehinderte in Deutschland.

Ende März 2015 musste sich die Bundesregierung in Genf einer zweitägigen Anhörung zur Umsetzung der Behindertenrechtskonvention stellen. Der zuständige Ausschuss wird am kommenden Freitag Empfehlungen für Bund, Länder und Kommunen aussprechen.

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