Gänsehaut am Amerika-Kai

Bremerhavens Auswandererhaus wird zehn Jahre alt - künftig soll es noch politischer werden

  • Lesedauer: 3 Min.
Das Deutsche Auswandererhaus in Bremerhaven ist einzigartig. Es bietet Besuchern eine lebensechte Reise in die Zeit der Auswanderung vor allem in die USA. Und der Bogen ins heute wird auch geschlagen.

Bremerhaven. Das Deutsche Auswandererhaus in Bremerhaven feiert in diesem Jahr seinen zehnten Geburtstag und will dabei sein Profil weiter schärfen. Das Migrationsmuseum wolle die Integration von Neuankömmlingen noch mehr in den Mittelpunkt stellen, sagt Direktorin Simone Eick. »Wir sind in den vergangenen zehn Jahren politischer geworden und wollen daran weiterarbeiten.«

Neben zahlreichen Projekten und einer Sonderausstellung soll das Jubiläum am 8. August mit einem großen Fest gefeiert werden. Seit der Eröffnung haben Eick zufolge schon fast zwei Millionen Gäste das Museum besucht. Zur Jubiläumsfest werde das Auswandererhaus erstmals einen mit 10 000 Euro dotierten Preis für Migrationsforschung verleihen, so die Direktorin.

Das Auswandererhaus steht an jenem Kai, von dem einst die Segelschiffe in Richtung Amerika ablegten. Es vermittelt in einer multimedialen und interaktiven Schau auf 2500 Quadratmetern als einziges kulturhistorisches Haus in Deutschland Aspekte der Auswanderung in Geschichte und Gegenwart. Von Bremerhaven aus haben zwischen 1830 und 1974 rund 7,2 Millionen Menschen Europa verlassen, oft als Wirtschaftsflüchtlinge. Seit 2012 wird in einem Erweiterungsbau auch über 300 Jahre Einwanderungsgeschichte nach Deutschland bis in die Gegenwart berichtet.

Jeder Besucher erhält am Eingang einen Reisepass, um der Biografie eines Auswanderers oder eines Einwanderers zu folgen. »Dem Thema Migration kann man sich nicht rein intellektuell nähern«, sagte die Historikerin. »Es sind immer ganz persönliche Lebensgeschichten«, sagt Eick. Vor kurzem hat das Haus das Pilotprojekt »Forum Migration« gestartet. Um Vorurteile und Ängste zu erforschen, werden Migranten, ihre Nachfahren und Einheimische befragt. Die Ergebnisse sollen im Winter in einer Sonderausstellung präsentiert werden. Von den durchschnittlich etwa 200 000 Besuchern pro Jahr kommen etwa fünf Prozent aus dem Ausland, vor allen den USA, der Schweiz und Frankreich. Das Haus punktet nicht nur mit seinem Erlebnischarakter beim Gang durch täuschend echte Szenen wie dem Inneren der Auswandererschiffe oder der Wartehalle von Ellis Island in New York. Vielmehr können Nachfahren von Auswanderern auch im umfangreichen Archiv Nachforschungen zu ihren Verwandten anstellen. Mancher Besucher stoße eher zufällig auf ausgewanderte Vorfahren. »Dann wird es immer sehr emotional«, sagt die Direktorin. »Das sind wunderschöne Momente.«

Besucher regieren nach Eicks Erfahrung sehr unterschiedlich. Berührt von dem Thema und der für Deutschland ungewöhnlichen Ausstellung seien viele Menschen. »Das Wort, das am häufigsten fällt, ist Gänsehaut.«

Seit 2012 geht es nicht mehr nur um die Millionen Menschen, die Deutschland in Richtung USA oder Kanada, Argentinien oder Australien auf der Suche nach einem besseren Leben verließen. In seinem Erweiterungsbau zeigt das Auswandererhaus, wie es ihnen als Einwanderer erging, zu denen sie wurden, sobald sie ihr Ziel erreichten. Der Blick öffnet sich damit auch für das Schicksal der Menschen, die seit den 1950er Jahren aus Italien, Portugal oder der Türkei nach Deutschland kamen. »Deutschland ist seit Jahrhunderten ein Einwanderungs- und Auswanderungsland«, sagt Eick. Wahrscheinlich im Juni kann die Museumschefin den zweimillionsten Besucher begrüßen. Jeder Einzelne hält sich im Durchschnitt 3,5 Stunden im Auswandererhaus auf, im Vergleich zu anderen Museen eine lange Zeit.

In den nächsten Jahren startet ein Projekt, um Kindern zu vermitteln, wie man mit dem Fremden im Leben umgehen kann. »Angst vor dem Fremden soll in Neugier umgewandelt werden«, erklärt Eick. So soll es eine mobile Lernstation zum Thema Christentum und Islam geben. Auch aktuelle Entwicklungen um Flucht und Vertreibung gewinnen an Bedeutung. Agenturen/nd

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal