Die CDU will nach oben wandern

Parteitag wählt Landtagsfraktionschef Ingo Senftleben zum neuen Landesvorsitzenden

Die vergeigte Koalition mit der SPD ist nicht vergessen. Führende CDU-Politiker bitten um Geschlossenheit. Nun soll die Verdrängung der LINKEN aus der Regierung 2019 klappen.

»Wir müssen die Auseinandersetzungen nach der Wahl vergessen und wieder zur Geschlossenheit finden«, mahnt Ex-Innenminister Jörg Schönbohm. Insgesamt sechs Mal klopft er auf das Rednerpult, um seine Worte zu unterstreichen. Obwohl es dem CDU-Ehrenvorsitzenden nach einem Schlaganfall schwer fällt zu sprechen, tut er es doch am Sonnabend auf dem CDU-Landesparteitag in Schönefeld. Im Hotel »Holiday Inn« in der Nähe des Flughafens wählt die Partei ihren neuen Landeschef.

In einem Grußwort, das schriftlich vorliegt, erinnert Kanzlerin Angela Merkel noch einmal an den Erfolg bei der Bundestagswahl 2013, aus der die brandenburgische CDU mit 34,8 Prozent klar als stärkste politische Kraft im Bundesland hervorgegangen war. Doch schon bei der Landtagswahl ein Jahr später schaffte die CDU nur 23 Prozent. Leider sei es nicht gelungen, »die rot-rote Landesregierung abzulösen«, bedauert Merkel. »Umso wichtiger ist es, dass die CDU Brandenburg starke und geschlossene Oppositionsarbeit leistet.«

Die Mahnungen kommen nicht von ungefähr. Das zeigt sich bei der Kampfabstimmung. Fraktionschef Ingo Senftleben ist als Landesvorsitzender von mehreren Kreisverbänden nominiert und wird dabei von weiteren Kreisverbänden unterstützt. Gegen ihn hat sein Konkurrent, der Historiker und ehemalige Landtagsabgeordnete Wieland Niekisch, keine Chance. Das deutet sich schon an, weil es sehr unruhig wird bei der Bewerbungsrede Niekischs, der sich als ausgewachsenen christlichen Konservativen bezeichnet und Leute wie Franz Josef Strauß und Roland Koch als Vorbilder benennt. Wenige nur spenden ihm Applaus und viele hören ihm gar nicht richtig zu, besprechen sich stattdessen mit ihren Sitznachbarn. Mit rotem Kopf verlässt Niekisch das Rednerpult und geht als bereits geschlagener Mann durch die Reihen.

Am Ende bekommt Niekisch 29 Stimmen, Senftleben 163. Außerdem gibt es 17 Nein-Stimmen und drei Enthaltungen. Senftleben zeigt sich gerührt und verspricht: »Wir gehen jetzt wandern, auf den Berg, nach oben.« Zuvor hatte er von den Ausflügen berichtet, die er zusammen mit seiner Frau und seinen drei Töchtern auf den Kutschenberg bei Ortrand unternimmt, die mit 201 Metern höchste Erhebung Brandenburgs.

Aber Niekisch hat selbst an einen Sieg nicht wirklich geglaubt. Er wollte ein achtbares Ergebnis und zum Nachdenken bewegen, sagt er. Sein Auftritt macht zumindest die Konflikte im Landesverband deutlich. »Es gab Wut und Austritte«, berichtet Niekisch von Reaktionen auf die vergeigte Koalition mit der SPD. Manch einer sei anschließend nicht mehr bereit gewesen, sich auf der Straße unter den orangen Schirm der CDU zu stellen. Niekisch hält es für notwendig, die Dinge offen auszusprechen. Dagegen sagt Senftleben: »Ich wünsche mir, dass wir gut über uns sprechen, intern und draußen«.

»Ich bitte Sie, unterstützen Sie den neuen Landesvorsitzenden mehr als mich«, fleht der scheidende Landesvorsitzende Michael Schierack. Ein Politiker brauche das Vertrauen seiner Parteifreunde und das habe er am Ende nicht mehr genossen, begründet der Medizinprofessor seinen Rückzug. Der neue Vorsitzende habe eine Chance verdient. Schierack verliert sich in blumigen Vergleichen, die am Ende oft nicht mehr stimmig klingen - und er verhaspelt sich. So hat er sich schon im Landtagswahlkampf immer wieder blamiert. Jetzt sagt er beispielsweise: »Der Makel der gescheiterten Regierungsgespräche lastet auf mich.« Aus dem Saal schallt der korrigierende Ruf »mir«, aber Schierack scheint seinen Fehler nicht einmal zu bemerken. Er beschwert sich noch einmal, dass Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) ausplauderte, Schierack habe kein Ministeramt übernehmen wollen und dies sei der Grund dafür gewesen, dass die SPD der CDU absagte.

Insgesamt wirkt Schierack immerhin befreit - und trotz seines grammatischen Patzers und seiner stilistischen Unsicherheiten spricht er doch so überzeugend wie selten. Es gelingt ihm diesmal sogar, die Delegierten so für sich einzunehmen, dass sie ihm sehr freundlich applaudieren. Unter Berufung auf Altkanzler Konrad Adenauer (CDU) erklärt Schierack das C im Namen zur schärfsten Waffe der CDU, verwendet Begriffe wie christliche Grundwerte und Gottvertrauen und erzählt eine Anekdote vom Heiligen Franziskus.

Realitätsnaher sind da die Vorstellungen des neuen Landesvorsitzenden Senftleben, der nach eigener Aussage mit 23 Jahren »als Arbeiter« zur CDU gekommen ist. Er hatte in Cottbus den Maurerberuf erlernt und dann neben seiner Handwerkstätigkeit studiert. Für Senftleben heißt christliche Politik menschliche Politik. Denn er weiß wohl, dass die wenigsten Brandenburger sonntags um 9 Uhr zum Gottesdienst laufen. Einst träumte Senftleben davon, Volkspolizist zu werden, doch einer wie er hätte das nicht gedurft, sagt er. Das Wendejahr 1989 erlebte er als 14-Jähriger. Er zieht eine schlichte Linie: Mauer - Stacheldraht - Einheit - Helmut Kohl.

Indessen steht eine Handvoll Parteifreunde plötzlich auf, entrollt ein Transparent und zieht damit am Rand des Saals bis nach vorn vor die dort aufgestellten überdimensionalen Buchstaben CDU. Das Transparent zeigt einen Braunkohlebagger, der eine Landschaft abgräbt. »Energiewende ist die Reformation des 21. Jahrhunderts«, steht dazu. Die CDU zählt zu den Befürwortern neuer Tagebaue in der Lausitz. Es gibt aber auch einige Parteifreunde, die anderer Ansicht sind. Sie wohnen in der Regel selbst in Städten und Dörfern, die ganz oder teilweise der Kohleförderung weichen sollen, oder in Gegenden, die für die Verpressung von Kohlendioxid im Gespräch gewesen sind.

Nach Einschätzung von SPD-Generalsekretärin Klara Geywitz ist und bleibt die CDU tief zerrissen, das Vertrauen der Mitglieder erschüttert. »Den Ruf nach Geschlossenheit und fairem Umgang innerhalb der Union höre ich wohl. Allein mir fehlt der Glaube«, sagt Geywitz. Seit dem Abtritt von Jörg Schönbohm im Jahr 2007 sei Senftleben bereits der fünfte CDU-Landesvorsitzende in Brandenburg. »Junghanns, Wanka, Ludwig, Schierack - sie alle scheiterten an ihrem Anspruch, die CDU zu einen.« Seite 4

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