Utopie und Unfug

Neue Lektüre zur HBO-Serie »True Blood«

Säße man in der Kleinstadt Bon Temps in Louisiana und nicht in Berlin, würde man bei drei bis vier Personen im Publikum vermuten, dass es sich um Vampire handelt, so blass sind sie um die Nase. Vampire, das hat man aus der Fernsehserie »True Blood« gelernt, sind optisch kaum von Menschen zu unterscheiden. Nur wenn sie sich aufregen oder zu den Mahlzeiten klappen ihre Fangzähne mit einem charakteristischen Geräusch aus.

Als mehr oder weniger ordentliche, Steuern zahlende Bürger der USA kämpfen sie mit ihrer Organisation, der American Vampire League, um gleiche Rechte, etwa darum, heiraten zu dürfen, wen sie möchten. Da die Hämatophagen seit der Herstellung des synthetischen »TruBlood« nicht mehr auf Menschenblut angewiesen sind, ist eine friedliche Existenz möglich. Theoretisch. Denn während einerseits die Südstaatenbevölkerung nicht gerade für ihre Toleranz bekannt ist, gibt es andererseits Vampire, die auf den Genuss echten Blutes nicht verzichten wollen - weil es einfach viel besser schmeckt.

»True Blood lässt sich über weite Strecken als eine überdeutliche Metapher auf den Kulturkampf begreifen, der die Anerkennung und die rechtliche Gleichstellung von Homosexuellen in den USA begleitet«, schreibt Cristina Nord in ihrem Büchlein zur Serie. Das Outing der Vampire wird mit fast identischem Begriff beschrieben (»to come out of the coffin« statt »out of the closet«). Aus »God hates fags«, der gegen Schwule gerichteten Hassparole von christlichen Fundamentalisten, wird »God hates fangs« - Gott hasst Fangzähne, also Vampire.

Doch Cristina Nord, Filmredakteurin der »taz«, verfolgt keine »Nobilitierungsstrategie«, ist nicht bestrebt, den tieferen Sinn der Serie über die Maßen zu strapazieren, wie ihr Kollege Dirk Knipphals bei der Buchvorstellung im taz-Café feststellt. Denn tatsächlich handelt es sich dabei nur um die halbe Wahrheit. »This ist popcorn television«, sagte Autor Alan Ball über sein Werk. »True Blood pflegt ein intensives Verhältnis zur eigenen Trashigkeit«, formuliert es Nord. Oder so: »True Blood ist wenig vorzeigbar ... Es mangelt der Serie an Respektabilität. Das macht ihren Charme aus.« Denn es tummeln sich längst nicht nur Vampire in den lauen Südstaatensommernächten; auch Feen, Werwölfe, Gestaltenwandler, Hexen und allerhand Sagengestalten treiben ihr Unwesen, allesamt auf den ersten Blick »normale« Menschen. Verweise auf aktuelle politische und soziale Probleme, traumatisierte Soldaten und CIA-Gefängnisse wechseln sich ab mit gnadenlosen Kitschszenen in lichtdurchfluteten Paradiesgärten im Reich der Feen und blutig-düsteren Gewaltexzessen. Die Kontraste sind so stark, dass für jeden etwas dabei ist - und jedem etwas fürchterlich auf den Wecker geht.

»Immer wieder lässt die Serie darüber staunen, wie fantasievoll sie Körper umgestalten und um ihre Intaktheit bringen kann.« Blut und Körperinneres, nackte Haut und Sex, Kitsch und Grusel, Unfug und Utopie, unglaublich sexy Punkrock-Vampire und liebenswerte Verrückte von allen Sorten sind bezeichnend für »True Blood« - und vor allem wunderbarer Humor, bis in die kleinsten Details. So wird etwa beim Vampirdinner Blut serviert, das »cruelty free« (wörtlich: frei von Grausamkeit) ist. Und wie zufällig wird einmal eine Schlagzeile eingeblendet, die lautet: »Angelina Jolie adoptiert Vampir-Baby«.

Cristina Nord: True Blood. diaphanes. 108 S., Broschur, 10 €. Die Serie ist auf DVD erhältlich.

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