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»Wir leben im Zeitalter des Misstrauens«

US-Wissenschaftler und Internet-Aktivist Ethan Zuckerman sucht nach neuen Protestformen

  • Uwe Sievers
  • Lesedauer: 4 Min.
Die re:publica eröffnete in Berlin mit einer umfassenden Gesellschaftskritik. Weil Politik und Wirtschaft keine nachhaltigen Lösungen für gesellschaftliche Probleme bieten, läge die Hoffnung auf technologischen Instrumenten, lautete die Schlussfolgerung. Diese Sicht zeigt allerdings deutliche Schwächen.

»Unser System ist so kaputt, dass wir ein neues Verhältnis zur Politik finden müssen« sagte der US-Wissenschaftler und Internet-Aktivist Ethan Zuckerman in seiner Eröffnungsrede zur re:publica am Dienstag in Berlin. Er leitet das Center for Civic Media am US-amerikanischen MIT und kritisierte sowohl Regierungen und Parteien, als auch Unternehmen und Medien. Eine allumfassende Vertrauenskrise kennzeichnet laut Zuckerman die modernen Gesellschaften: »Die Menschen misstrauen heute nicht nur der Politik, sondern allen Institutionen, den Banken, der Presse und sogar Nichtregierungsorganisationen.«

Der US-Forscher kommt zu dem Resultat: »Wir leben in einem Zeitalter des Misstrauens«. Das sei auch eine Folge zunehmender Transparenz politischer und gesellschaftlicher Prozesse: »Wir erkennen dadurch mehr Schwächen und Abgründe«. Transparenz alleine reiche also nicht. »Wir müssen das Misstrauen in einen gesellschaftlichen Gewinn wandeln«, forderte Zuckerman und fragt: »Was ist der Weg, um die Welt zu verändern«. Eine Frage, die sich auch schon viele Andere vor ihm gestellt haben.

Dank der Möglichkeiten des Internet und sozialer Netzwerke sei es heute sehr leicht, Protest zu organisieren, doch dessen Wirkung sei nicht sehr nachhaltig: »Es ist sehr schwierig, Straßenprotest in politische Veränderung zu transformieren«, meinte Zuckerman. Denn wenn die Aktivisten schließlich zusammenkämen, stünden sie vor der großen Herausforderung, unterschiedliche Vorstellungen zu überwinden und eine gemeinsame Position zu entwickeln. Als Beispiel nannte er etwa die Occupy-Bewegung in den USA oder auch die oppositionellen Kräfte des arabischen Frühlings. Zuckerman stellte fest: »Heutzutage ist die Beteiligung an Protesten größer, aber dessen Erfolg schwächer.«

Die Politik ginge daher sehr gelassen mit Protest um: »Auch eine Million Demonstrationsteilnehmer schrecken Regierungen nicht mehr.« Die Ursache hat auch Zuckerman erkannt: »Die Menschen auf der Straße und in den Parlamenten sind nicht diejenigen, die die Macht haben«. Seine nicht ganz neue Erkenntnis lautete: Die wirkliche Macht ginge von Wirtschaftskonzernen aus und bestimme die reale Politik unabhängig von gewählten Parlamenten.

Der US-Wissenschaftler ging in seiner stark an der US-Politik orientierten Sicht auf die Versäumnisse der Technik-Gemeinde ein. »Wir waren sehr naiv«, stellte Zuckerman rückblickend fest. Er gehörte in den 1990er Jahren zu den Internet-Pionieren und hat damals Netzunternehmen wie Tripod mit aufgebaut. »Wir haben das nicht wegen des Geldes gemacht, sondern weil wir dachten, mit den neuen Möglichkeiten des Internet würden wir die Welt verbessern und einzelne Konzerne könnten nicht mehr den Markt dominieren.« Außerdem habe man damals geglaubt, Zensur im Internet sei unmöglich, weil sie leicht umgangen werden könne.

Ferner sei man der irrigen Annahme erlegen, dass Regierungen sich nicht für den digitalen Raum interessierten. Doch die dominierenden politischen und ökonomischen Kräfte hätten gelernt, die Möglichkeiten des Internet für ihre Interessen zu nutzen. »Was wir heute durch Snowden wissen, hätten wir damals nicht für möglich gehalten«, sagte Zuckerman und bedauerte: »Von allen Enttäuschungen der letzten 25 Jahre war das die Größte«.

Zuckerman sucht nun nach neuen Protestformen: »Wir brauchen einen dritten Weg.« Der solle nicht so langsam und indirekt funktionieren, wie parlamentarische Oppositionen und auch nicht so schnelllebig und fragil sein, wie Straßenprotest. »Wir haben noch nicht die Werkzeuge, die nötig sind um die Gesellschaft zu ändern«, meinte er. Dabei setzt er vorrangig auf technologische Lösungen, denn es reiche nicht Gesetze zu verändern: »Ich glaube nicht, dass Rechtsstrukturen die Gesellschaft verändern können.« Selbst wenn die richtigen Personen an der Macht wären, könnten sie nicht viel verändern.

Stattdessen seien Normen und Standards das mächtigste Instrument die Welt zu ändern, so Zuckerman. Dabei gelte es, Wege zu finden, die einer Zentralisierung widerstehen könnten. Als Beispiel nannte er die deutsche Freifunk-Initiative, die versucht, ein öffentliches WLAN-Netz aufzubauen. Doch die Gefahr erfolgreicher Projekte sei, dass sie zu neuen starren Institutionen werden könnten. Zuckerman zeigt: In Fragen der Gesellschaftskritik ist die Netzgemeinde noch ganz am Anfang. Aber immerhin, sie hat damit angefangen.

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