Sich die Kanzlerin wegdenken

  • Roberto J. De Lapuente
  • Lesedauer: 3 Min.
Die BND-Geschichte könnte der Kanzlerin gefährlich werden: So liest man das jetzt in manchen Spalten. Die »gefährdete Kanzlerin« ist so eine Art Lieblingsmotiv der Kommentatoren. Jeden Skandal und jede Affäre flankieren sie mit ihr. Das soll wohl die Alternativlosigkeit verdecken.

Es ist mal wieder so weit: Für die Kanzlerin könnte es gefährlich werden. Im Führen dieses Konjunktivs sind die Kommentatoren dieses Landes großartig. Selbst die »Bild« ist mal wieder mit von der Partie und mahnt. Was haben sie nicht alles gemunkelt, als Edward Snowden Tacheles redete und die Bundesregierung so tat, als habe man es bei diesem Mann mit einem Charles Manson der Nachrichtendienste zu tun. Wenn sie nicht bald Stellung bezieht, schrieb man, dann könnte es gefährlich werden für die Kanzlerin. Sie bezog keine Stellung und schwadronierte vom Neuland und – ist immer noch ungefährdet im Amt. Wurde seither sogar wiedergewählt.

Nein, diese »gefährdete Kanzlerin« ist ein netter Trick derer, die dieses Land noch als völlig intakte Demokratie umschreiben wollen. Solange ein Machtmensch über Skandale stürzen kann, lebt die Alternative noch und schon ist dieses Zeitalter der Alternativlosigkeit ausgeblendet. Wo gestolpert werden könnte – und sei es nur in Möglichkeitsform -, da sind die Spielregeln der Demokratie noch in Ordnung. Und einzig darum geht es bei der »gefährdeten Kanzlerin«. Es ist Blendwerk anzunehmen, dass sie über die Geschichten stolpert, die ihr der politische Alltag so vor die Füße wirft. Wer das annimmt, hat weder den Merkelismus noch das Wesen dieser Frau und ihrer Entourage richtig verstanden.

Dieses operettenhafte Gezeter von der Demokratie, die noch rührig arbeitet und recht gut funktioniert, deckt sich doch nicht mit den Erfahrungen, die man mit Angela Merkel gemacht hat. Sie sitzt weitaus besser aus als der dicke Oggersheimer und laviert in ihrer Tapsigkeit so grazil, dass man nicht annehmen kann, sie könnte je in die Gefahr geraten, einfach so zu stolpern. Innerparteilich bietet ihr keiner mehr die Stirn. Die Damen und Herren sind zum Abnicken einberufen und um »Vivat!« zu rufen. Und ihr Vizekanzler und Koalitionspartner gibt die nächste Wahl schon zwei Jahre vorher auf und erklärt sich bereit, die Kanzlerin in eine nächste Großen Koalition zu geleiten.

Das sollten sich all die Kommentatoren, die von der »gefährdeten Kanzlerin« berichten, mal zu Gemüte führen, bevor sie Abgesänge auf diese Frau schreiben. In der mediokratisch verwalteten Postdemokratie ist das Alltagsgeschäft ein Ritual, das zu vollziehen man mithilfe von PR-Agenturen erlernt hat. Stolpern kann man da nur noch selten. Mit stark ausgeprägtem Machtwillen eigentlich gar nicht. Zur PR dieser Masche gehört, dass man aber den Schein wahrt und so tut, als laufe der Laden noch nach den Regeln, die die Demokratie verlangt. Eine Regierung, die zum Beispiel ihre Bürger belauscht und dann nicht mal bereit ist, darüber in Kenntnis zu setzen, müsste eigentlich ins Schwimmen geraten. Tut sie aber nicht, weil die Alternativlosigkeit zur Präambel des Zeitgeistes erhoben wurde. Dieselben Leute, die zyklisch von gefährlichen Zeiten für die Bundeskanzlerin schreiben, erklären ansonsten dieses Land für ein kleines Paradies zwischen all den Höllen, die sich sonst so auftun auf Erden. Und verantwortlich sei dafür natürlich diese Regierung und ihre Richtlinienkompetenz.

Die Frau ist nicht in Gefahr. Leider. Wer soll sie denn stürzen? Das Volk, das sie doch wieder als beste aller möglichen Kanzler wählt? Das politische Personal, das ihr aus der Hand frisst? Willkommen in der Alternativlosigkeit! Kein Skandal reicht aus, damit sie ihren Hosenanzug in den Schrank hängt. Aber so zu tun als ob es geschehen könnte, das soll uns allen suggerieren, dass es keine Kontinuität auf Teufel komm raus gibt. Und wenn man sie sich wegdenkt, wo sie schon nicht weg zu kriegen ist, dann kuschelt man sich in den wohligen Gedanken ein, dass wir noch kein Post- vor unserer Demokratie stehen haben.

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