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Schneller als das Wahlergebnis

Die Auszählung in Bremen läuft noch und die SPD hat schon ihren Spitzenkandidaten Böhrnsen verloren

  • Alice Bachmann, Bremen
  • Lesedauer: 4 Min.
Mit welcher Koalition es nach der Wahl in Bremen nun weitergeht, ist völlig offen - auch weil das Endergebnis noch nicht feststeht. Sicher ist nur, Jens Böhrnsen wird nicht erneut Bürgermeister.

Am Tag nach der Wahl in Bremen ist vieles noch unklar: Wer spricht mit wem über eine Koalition, wie soll man auf die historisch niedrige Wahlbeteiligung reagieren und: Wie ist die Wahl eigentlich genau ausgegangen? Das Endergebnis wird erst am Mittwoch bekanntgegeben, erst danach will die SPD die Koalitionsmöglichkeiten ausloten. Fest steht, egal mit wem die stärkste Partei sich am Ende zum Regieren zusammentut, Jens Böhrnsen wird der Bürgermeister nicht mehr heißen. »Als Spitzenkandidat der SPD übernehme ich selbstverständlich Verantwortung für das enttäuschende Wahlergebnis für meine Partei am 10. Mai 2015. Ich habe mich daher entschlossen, nicht erneut für das Amt des Bürgermeisters und des Präsidenten des Senats in der neu gewählten Bürgerschaft zu kandidieren, damit die SPD durch eine personelle und inhaltliche Neuaufstellung die politischen Weichen für ein besseres Ergebnis bei der nächsten Bürgerschaftswahl 2019 stellen kann«, erklärte Böhrnsen am Montag. Noch am Abend wollte der SPD-Landesvorstand über eine mögliche Nachfolge beraten.

Katerstimmung herrschte allerdings nicht nur bei der SPD. Alle in die Bürgerschaft einziehenden Parteien zeigten sich vor der geladenen Presse besorgt über die geringste je in der Hansestadt erlebte Wahlbeteiligung. Außerdem herrschte noch Unsicherheit, weil erst am Mittwoch mit dem Wahlergebnis die Sitzverteilung feststeht. Entsprechend dünn waren die Aussagen zu möglichen Koalitionen. Doris Achelwilm erklärte auf Nachfrage für die LINKE, mit dem soliden Ergebnis von fast zehn Prozent jetzt von den großen Parteien wahrgenommen und als Gesprächspartnerin anerkannt zu werden. Dennoch sah sie in der bisherigen Politik der SPD keine Anhaltspunkte für eine Koalition. Falls Gesprächswünsche an sie herangetragen würden, wolle sich die Bremer LINKE nicht verschließen. Aber ohne grundlegenden Politikwechsel seitens der SPD werde es keine Koalitionsgespräche geben. So müsse Schluss sein mit der »Schlafwagenfahrt« und »Selbstgenügsamkeit«, die die rot-grüne Koalition an den Tag gelegt hatte, forderte Achelwilm.

Dieter Reinken, Landesvorsitzender der SPD, zeigte sich enttäuscht und erschrocken über die niedrige Wahlbeteiligung, sah aber keinen Fehler in der Politik selbst. Lediglich aufgrund des schlechtesten Wahlergebnisses der Bremer SPD seit 70 Jahren meinte er, es müsse wohl noch mehr auf die Themen eingegangen werden, die den Menschen in Bremen auf der Seele brennen. Aber es seien sehr wohl von der SPD und in der rot-grünen Koalition die notwendigen Debatten geführt worden, die Menschen hätten es nur nicht verstanden.

Wie sein ehemaliger Chef, Spitzenkandidat Böhrnsen, sah Reinken den Wählerauftrag unstrittig bei der SPD mit ihren etwas über 30 Prozent der abgegebenen Stimmen. Ob allerdings mit den Grünen weiter regiert oder eine Große Koalition mit der CDU angestrebt wird, könne sich erst nach der exakten Auszählung und Bewertung der Wahlergebnisse zeigen.

Jens Eckhoff, der den CDU-Landesvorsitzenden Jörg Kastendiek vertrat, plädierte zunächst für ein anderes Auszählverfahren, weil sich Bremen blamiere, wenn hier vier Tage gebraucht werden, bis ein Ergebnis fest steht. In dem, was bisher davon bekannt ist, mag Eckhoff allerdings keine Bestätigung für Rot-Grün erkennen, als vielmehr eine klare Abwahl dieser Koalition. Die eigenen gut 20 Prozent der Stimmen seien ein Schritt in die richtige Richtung. Die Bremer CDU habe inzwischen begriffen, »was man in einer Großstadt von uns erwartet«.

Offensichtlich hat Eckhoff auch begriffen, was die SPD erwartet, denn der CDUler bot sich förmlich mit dem Statement an, sie hätten sich in Bremen jetzt zurechtgerüttelt und seien durchaus in der Lage zu konstruktiven Verhandlungen - und dazu anschließend vier Jahre durchzuhalten.

Ralph Saxe von den Grünen sagte, es könne kein »Weiter so« geben. Sollte es zur Fortsetzung der Koalition mit der SPD kommen, »dann muss es auch ein deutliches Signal geben von uns, dass wir die Botschaft gehört haben und dass wir uns verändern wollen«. Worin diese Veränderung bestehen könnten, ließ er Montag offen.

Die gut sechs Prozent der FDP führten beim Landesvorsitzenden Hauke Hilz zu Überschwang und Tatendrang. Es solle Schluss sein mit der Sozialdemokratie. Weniger Staat und mehr Eigenverantwortung seien jetzt angesagt. Auch die AfD hat knapp über fünf Prozent erreicht und wird in der Bürgerschaft sitzen. Über ihre geplante Arbeit dort sagte Landesvorsitzender Christian Schäfer noch nichts. Die »Bürger in Wut« aus Bremerhaven, die wieder einen Sitz im Bremer Landtag ergatterten, schickten keinen Vertreter.

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