Kein Elfenbeinturm

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 3 Min.
Das lineare Fernsehen ist tot! Eine von Medienkritikern und Fernsehmachern heftig diskutierte, provokante These, der das ZDF mit »heute +« eine Antwort entgegensetzt. Sie kommt einem Spagat gleich.

Das lineare Fernsehen ist tot! Eine von Medienkritikern und Fernsehmachern heftig diskutierte, provokante These, der das ZDF mit »heute +« eine Antwort entgegensetzt. Sie kommt einem Spagat gleich. Das neue Format soll nicht nur ein junges netzaffines Publikum ansprechen, sondern wirkt gleichzeitig wie das Testlabor für den vom ZDF und der ARD in Zusammenarbeit für 2016 angekündigten Jugendkanal.

Als Fortschritt muss man den Mainzern anerkennen, dass sie die Sendung nicht im Digitalkanal ZDFinfo versenken (Wie seinerzeit das unterschätzte Format »log in«), sondern im spätabendlichen Hauptprogramm ausstrahlen, wo der ältere Zuschauer die Chance erhält, mitzubekommen, dass die da auf dem Lerchenberg durchaus in der Lage sind, interaktives Nachrichtenfernsehen zu machen.

Der Clou von »heute +« besteht einerseits in der Umkehr der bisherigen Logik, das Netz als Resterampe des Linearen zu missbrauchen. Statt zuerst im TV, sind die einzelnen Beiträge bereits tagsüber online abrufbar und werden dann ab 23 Uhr in einer Live-Websendung in der ZDF-Mediathek präsentiert. Fast eine Stunde später kommt schließlich der lineare Zuschauer am heimischen TV-Gerät in den Genuss, Moderator Daniel Bröckerhoff (im wöchentlichen Wechsel mit Eva-Maria Lemke) dabei zuzusehen, wie er als Mischung aus LeFloid (irgendwas mit Youtube-Star) und krawattenlosem Claus Kleber (irgendwas mit »heute journal«) Beiträge präsentiert, deren zielgruppenspezifische Aufbereitung irgendwo zwischen dem Niveau der Kindernachrichten logo! und den heute-Nachrichten liegt. Etwas weniger berufsjugendliches Hände-in-die-Jeanstaschen-Stecken lernt Bröckerhoff gewiss noch.

Glücklicherweise ist vor der Websendung die große Stärke von »heute +« bereits ausgespielt. Die Redakteure sind angehalten, sich in die rund um die einzelnen Beiträge entstehenden Diskussionen auf Facebook und Twitter einzuklinken. Der Journalist verlässt somit seinen Elfenbeinturm, tut nicht mehr so, als ginge ihn seine täglich abgelieferte Arbeit nichts an. Interaktion als Antwort auf die zunehmende Kritik und Abwendung von der angeblichen »Lügenpresse«.

Jan Freitag kritisiert bei Zeit Online allerdings: »Die informationelle Revolution ist ganz schön kurz. Vor allem aber ist sie alles Mögliche, aber nicht informativ. Fünf meinungslastige Beiträge in einer Viertelstunde plus Newsblock und Eigenwerbung - das bietet allenfalls Raum für Kasuistik und Häppchen.«

Über »Kindernachrichten für Große« witzelt Carolin Schwarz auf faz.net: »Was die Schwerpunkte angeht, die ›heute +‹ setzen will - die ähneln von ihrem erklärerischen Gestus her doch sehr der Kindernachrichtensendung ›logo‹. So war beim Thema Klimawandel davon die Rede, dass uns bald aufgrund der Austrocknung Schokolade und Kaffee fehlen werden, danach Weißwein und Bier (Hopfen).«

Das Experiment »heute +«: Es wirkt, als wage das ZDF nicht den endgültigen Bruch mit den alten Sehgewohnheiten.

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