Maurer, Materialprüfer, Mörtelpaule

Ein Bild aus dem symbolischen Archiv der DDR-Revolution und Stuttgart 21. Matthias Dell über den Stuttgarter »Tatort: Der Inder«, der politischen Furor mit einem gelungenen Kriminalfilm verbindet

  • Lesedauer: 4 Min.

Es gibt in diesem »Tatort« etwas, das man als ikonografische Fehlleistung bezeichnen könnte. Einmal wird eine Demonstration gezeigt, bei der Polizisten zielstrebig auf eine Gruppe mit einem Transparent zugehen, genauer gesagt: auf das Transparent zugehen, um es rasch herunterzureißen, sich wegzudrehen, um die Beute wegzubringen.

Man muss lange überlegen, welche Botschaft auf einem Banner bei einer Demonstration in einer die Meinungsfreiheit schätzenden Gesellschaft wie der unseren derart skandalös sein könnte, dass sie so entschieden aus dem Bild entfernt werden müsste. In Frage kämen eigentlich nur verfassungsfeindliche Äußerungen von Nazis (weshalb die ihr kindisch-kodiertes System von Kommunikation erfunden haben, in dem dann etwa Zahlen »Heil Hitler« rufen sollen).

Die Szene des Bannerrunterreißens macht auf der konkreten Ebene keinen Sinn, sie taugt nur als Metapher für die Hitzigkeit der Auseinandersetzung. Und in der Tat stammt die reale Szene, die Vorbild ist, aus dem angespannten Herbst 1989; durch vielfache Wiederholung ist sie im kollektiven Bildgedächtnis gespeichert: Nach einem Leipziger Friedensgebet im September 1989 gingen mit einem Mal in Zivil gekleidete Stasi-Leute auf ein Transparent zu im Zug der durch die Innenstadt Demonstrierenden und rissen es herunter.

Das Westfernsehen stand dabei und filmte die Rangelei, die einen nervösen Moment einfing und damit gleichzeitig den Fortgang der Ereignisse befeuerte: Erstmals gab sich die Stasi damals öffentlich, in einem Nachrichtenbild, so zu erkennen, was für die Verzweiflung der Macht, aber auch ihre Naivität sprach (wenn wir die Botschaft nur unterdrücken, ist die protestierende Bevölkerung vielleicht noch aufzuhalten).

Um auf den Stuttgarter »Tatort: Der Inder« (SWR-Redaktion: Brigitte Dithard) zurückzukommen: Die Fehlleistung besteht also darin, dass hier Bilder aus dem Archiv von DDR-Revolution für bundesrepublikanische Auseinandersetzungen herhalten müssen, die in der Regel weniger grundstürzend verlaufen.

Das zeigt doch ganz hübsch, und deshalb sind Fehlleistungen so furchtbar interessant, wie viel Rambazamba Regisseur und Autor Niki Stein mit seinem »Stuttgart 21«-Tatort will - es geht ihm schon ums große Ganze, um die korrupte Geschäftemacherei, die sich hinter dem Investoren- und Entwicklungsgerede von zeitgenössischer Stadtplanung verbirgt.

Für den Druck, der in Tatort-Stuttgart herrscht, spricht auch, dass der Bericht über die Demonstration, der im Film im Fernsehen (natürlich im SWR-Fernsehen) erzählt wird, die Ereignisse noch an die kapitalismuskritischen EZB-Riots in Frankfurt anschließt, wenn es heißt, die Wut der Demonstranten habe sich gegen Bankfilialen und das Autohaus eines »Stuttgarter Autoherstellers« gerichtet. Die Auseinandersetzung um »Stuttgart 21« war dagegen eine um die konkrete Sache.

Steins »Der Inder« (der Titel ist irreführend, weil der damit gemeinte Großinvestor eine Leerstelle bleibt) ist der beste »Tatort« der bislang wenig aufregenden Lannert-und-Bootz-Jahre in Stuttgart. Nicht, weil er gesellschaftlich so relevant wäre, sondern weil er seinen politischen Furor in einen gelungenen Kriminalfilm überführt.

Der Mord an einem korrupten Staatssekretär (Robert Schupp) wird unter Hochdruck in 30 Stunden verhandelt. Das stellt die Privatgeschichten von Lannert (Richy Müller) und Bootz (Felix Klare) zurück zugunsten der Ermittlungsarbeit, die nebenher, also hauptsächlich, dazu da ist, die Zuschauerin einzuführen in das verwirrende Geflecht von Politik, Investoren, Protest und sogar Medien (eine Website namens »Stargate Stuttgart«, die anders als die SWR-Sendungen wenn auch am Rande als Akteur auftritt). Das ist in vielen Momenten präzise und dringlich inszeniert, etwa das Fernsehinterview von SWR-Frau Carmen Lustig mit Katja Bürkles Untersuchungsausschussvorsitzender Petra Keller.

Und in der Mitte aller Bemühungen sitzt Thomas Thieme wie ein Berg und lässt als zynisch gewordener Architekt auf Freigang eine Suada nach der anderen vom Stapel: auf Stuttgart (»das Drecksloch«) oder gegenwärtige Stadtplanung (»Teuer, was ist teuer?«).

Eine Frage, mit der man sich auf Stehpartys beeindrucken kann:
»Hallo, was machen denn die Borkenkäfer?«

Ein Satz, der aus Kollegen Freunde macht:
»Sagen Sie's doch mit Goethe!«

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