Die wahren Online-Könige

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 2 Min.

Die politische Spitzennachricht des gestrigen Tages lautete: «Horst Seehofer kritisiert massenhaften Asylmissbrauch». Aus dem Wirtschaftsressort wird der Leser am Frühstückstisch mit der Überschrift «Einkommen: Die nächsten fünf Jahre bringen 2200 Euro mehr Lohn» optimistisch in den Arbeitsalltag geschickt. Klickt man auf den ersten Link, gelangt man zum Deutschland-Ableger der US-Online-Zeitung «Huffington Post» (huffington-post.de), folgt man dem zweiten Link, wird man auf die Online-Seite der Tageszeitung «Die Welt» (welt.de) umgeleitet.

Die meisten Leser werden aber gar nicht bis zu diesen Angeboten kommen, denn sie sind gar nicht auf der Suche nach Informationen, sondern wollen nur ihre Mails abrufen. Seit 2007 liefert welt-online Nachrichten für die Startseite des Mail-Anbieters AOL und seit vier Jahren ist die «Huffington Post» in Besitz des Internet-Konzerns, der mit Nachrichten beider Zeitungen seine Startseite im Netz bestückt.

Der Einfluss auf die politische Meinungsbildung, den AOL damit ausübt, kann nicht hoch genug eingeschätzt werden, denn die Reichweiten der Nachrichtenportale der Mail-Provider ist hoch, wie Stefan Mey auf get.torial.com, einem Online-Netzwerk für Journalisten, schreibt. Der wahre «Online-König» sei deshalb nicht bild.de oder spiegel-online, sondern das E-Mail-Portal von T-online. «Die ›Mail-Medien‹ würden jedoch in der Debatte um publizistische Relevanz kaum auftauchen, kritisiert Mey. 27 Millionen Nutzer zieht es nach seinen Recherchen pro Monat zu T-online. »Das Portal erreicht damit 49 Prozent aller deutschen Internet-User. Das ist deutlich mehr, als das zweitplatzierte Angebot bild.de erreicht. Andere große Mail-Medien sind die Schwesterportale Web.de (14 Millionen) und GMX.de (11 Millionen). 9 Millionen Nutzer besuchen zudem das Angebot von Yahoo Deutschland und 7 Millionen das Microsoft-Portal MSN Deutschland.« Die großen Mail-Provider hätten »um die Login-Funktion für E-Mails herum mit der Zeit ein großes und hochprofessionelles Medienangebot gebastelt«. Auf den »bunten Portalen« gebe es neben Boulevard-Themen und Ratgeber-Inhalten viel Platz für Politisches, hier würden aber auch »die großen, ideologischen Themen der Politik verhandelt: der Griechenland-Streit, die Ukraine-Krise und der Bahn-Streik. Für viele Menschen liefern sie die täglichen Informationen über Politik und Gesellschaft«.

Wie viel Ideologie in dieser Art selektiver Selektion politischer Ereignisse und - vor allem - politischer Meinungen steckt, wird deutlich, wenn man gestern bei AOL dem Link zur Einkommens-Meldung folgte. welt.de jubelt dort, dass sich »die Deutschen bis 2020 auf steigende Löhne freuen (können)«. Angesichts der seit Jahren sinkenden Reallöhne eine zumindest gewagte Annahme.

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