Hohe Hürden, volle Knäste

Die Organisation Pro Asyl befürchtet, dass mit dem neuen Bleiberecht mehr Flüchtlinge in Abschiebehaft kommen

  • Lesedauer: 4 Min.
Das Bleiberecht soll verschärft werden. Kritiker befürchten,dass ein sehr rigides Haftregime entstehen könnte. nd-Redakteur Stefan Otto sprach über dieses Gesetz mit Günter Burkhardt, dem Geschäftsführer von Pro Asyl.

Seit Wochen gibt es Proteste, weil die Bundesregierung das Bleiberecht verschärfen will. Wird das Recht auf Asyl damit sehr beschnitten?

Extrem problematisch an dem Gesetz ist die vorgesehene Ausweitung der Haft für Flüchtlinge, die über einen anderen EU-Staat nach Deutschland fliehen. Damit werden rechtliche Möglichkeiten geschaffen, mit denen in einer unabsehbaren Zahl von Fällen Menschen in Haft genommen werden können, die über einen anderen EU-Staat einreisen. Das ist inakzeptabel. Flucht ist kein Verbrechen!

Sind die Verschärfungen in dem Gesetz auch ein Reflex auf die gestiegenen Asylzahlen?

Ja, es sieht so aus. Dabei haben Gerichte immer wieder die Inhaftierung von Schutzbedürftigen aufgehoben. Zuletzt tat dies vor einem Jahr der Bundesgerichtshof. Die Bundesregierung versucht nun, scheinbar objektive Haftgründe zu definieren, die bei nahezu allen Asylbewerbern, die über einen anderen EU-Staat nach Deutschland fliehen, angewendet werden können. So soll ein Flüchtling, der seine Identität fälscht, Reise- oder Identitätsdokumente vernichtet, Geldbeträge für einen sogenannten Schleuser zahlt, eingesperrt werden. Kaum ein Flüchtling gelangt aber nach Deutschland, ohne einen dieser Tatbestände zu erfüllen. Pro Asyl erachtet es als äußerst zweifelhaft, dass Richter in Deutschland aufgrund solch ausufernder und generalklauselartiger Haftgründe entscheiden und Menschen die Freiheit nehmen sollen. Wir werden Flüchtlinge auf jeden Fall in Prozessen unterstützen, wenn sie sich gegen die Inhaftierung aufgrund dieser Neuregelung des Haftregimes wehren.

Müssen sich mit dieser Gesetzesverschärfung nicht Rechtspopulisten etwa von der Pegida-Bewegung in ihrem Handeln bestärkt fühlen?

Das würde ich nicht uneingeschränkt sagen. Es wäre zu einfach. Das Gesetz beinhaltet ja auch eine Bleiberechtsregelung für langjährig Geduldete, für die sich Pro Asyl, Flüchtlingsinitiativen und Kirchen mehr als zehn Jahre eingesetzt haben. Diese Regelung bietet Tausenden von geduldeten Flüchtlingen die Möglichkeit, einen legalen Aufenthaltsstatus zu erhalten. Alleinstehende müssen dafür mindestens acht Jahre in Deutschland leben, Familien mindestens sechs Jahre. Die Hürden hierfür bleiben hoch: Denn für ein Bleiberecht wird die überwiegende Sicherung des Lebensunterhalts vorausgesetzt. Flüchtlinge müssen einen Job finden, wofür sie gute Deutschkenntnisse benötigen. Damit eine solche Integration funktioniert, muss die Politik die Asylbewerber fördern. Das ist aber nicht vorgesehen. Man verlangt eine Integration, leistet aber dabei keine Hilfestellung. Denn es gibt nicht einmal das Recht, an einem Sprachkurs teilzunehmen.

Es drängt sich der Eindruck auf, als fehle der deutschen Asylpolitik derzeit eine klare Linie.

Der Kurs ist folgender: Mit der Änderung des Gesetzes erhalten die geduldeten Flüchtlinge mit einem ausreichenden Einkommen zwar sehr viel einfacher eine Aufenthaltserlaubnis. Aber die Bundesregierung versucht im Gegenzug, für Asylbewerber, die über einen anderen EU-Staat gekommen sind, ein Haftregime zu errichten, mit dem man sie leichter wieder abschieben kann. Außerdem will man Asylsuchende, die über die Balkanstaaten einreisen, rigoros abschieben und ihnen auch die Möglichkeit nehmen, später auf einem anderen Weg legal nach Europa einzureisen. Das individuelle Asylverfahren für sie hat man ja bereits durch die Ernennung mehrerer Balkanstaaten zu sicheren Herkunftsstaaten durch die kalte Küche abgeschafft.

Also wird eine Doppelstrategie gefahren?

In dem Gesetz sind die verschiedenen Autoren deutlich zu erkennen. Die Sozialdemokraten haben versucht, ein Bleiberecht für langjährig Geduldete durchzusetzen, was im Vergleich zur bisherigen Rechtslage ein großer Schritt nach vorne ist. Aber dieser Fortschritt wurde in den Verhandlungen mit der Union erkauft und führt nun zu einer Verschärfung zum Beispiel für jene Schutzbedürftige, für die angeblich ein anderer EU-Staat zuständig sein soll.

Müsste sich die Bundesrepublik, die sich mittlerweile als Einwanderungsland begreift, nicht anders verhalten?

Den Konflikt zwischen dem Selbstverständnis als Einwanderungsland und der nach wie vor vorhandenen Abschottungshaltung erkennt man auch an einer Absurdität im aktuellen Gesetzentwurf: Zwar gibt es Verbesserungen beim Bleiberecht für gut integrierte Jugendliche. Aber jetzt hat man geregelt, dass sie jeweils nur eine einjährige Duldung für das Ausbildungsjahr erhalten, die bis zum Ende der Ausbildung verlängert werden soll. Jeder Unternehmer, der ausbildet, will aber eine Perspektive für sich und seine Lehrlinge haben. Außerdem: Man kann doch Menschen, die jahrelang hier gelebt haben, mehrere Jahre eine Schule besucht haben und schließlich volljährig geworden sind, nicht einfach abschieben. Statt ausländerrechtlicher Klarheit durch Aufenthaltserlaubnisse produziert die Politik mit unzureichenden Kompromissen neue Duldungen - also einen Nicht-Status, der abgeschafft werden sollte.

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