Obama erlebt seinen zweiten Frühling

Am Ende der Amtszeit kann der Präsident Wahlversprechen erfüllen / Immer mehr US-Bürger bezeichnen sich als liberal

  • John Dyer, Boston
  • Lesedauer: 2 Min.
Der US-Präsident fährt derzeit einen Erfolg nach dem anderen ein, von der Sicherung der Gesundheitsreform bis zum Atomabkommen mit Iran. Und die US-Gesellschaft neigt sich wieder nach links.

US-Präsident Barack Obama hielt eine feurige Rede vor dem Nationalen Verband für den Fortschritt der Farbigen in Philadelphia. Am Vortag hatte er die Strafen von 46 wegen Drogenvergehen verurteilten Männern herabgesetzt. Das Justizsystem der USA »ist nach wie vor durch Rasse und Reichtum verzerrt«, wetterte er vor seinem begeisterten Publikum. Er gab ihm, was es hören wollte angesichts der fast wöchentlichen Schlagzeilen über wieder von der Polizei erschossene Afroamerikaner.

»In zu vielen Orten werden schwarze Jungen und schwarze Männer sowie Latino-Jungen und Latino-Männer vor dem Gesetz ungleich behandelt«, sagte Obama. »Masseninhaftierung macht unser Land schlechter. Und wir müssen etwas dagegen tun.« Solche linke Rhetorik hatten die USA seit Präsident Lyndon Johnson in den 60er Jahren nicht mehr gehört.

Es scheint, als zeige der Präsident jetzt seine wahren Überzeugungen. Als er 2008 zum ersten Mal um die Präsidentschaft kämpfte, hatte Obama einen Linksruck versprochen. Jetzt scheint er liefern zu wollen - obwohl die konkurrierenden Republikaner eine Mehrheit in beiden Häusern des Kongresses haben.

Obama hat Erfolge. Am Dienstag verkündete er das Atomabkommen mit Iran, um das jahrelang gerungen worden war. Im Juni wies das Oberste Gericht Einsprüche gegen das innenpolitische Herzstück der Obama-Politik zurück: die Gesundheitsreform. Auch gab es Obamas Eintreten für die Homo-Ehe recht. Marihuana wird zur boomenden Geschäftsidee, seit Obama versichert hat, niemand werde von Bundesbehörden deshalb verfolgt, wenn er in seinem Bundesstaat bleibe, wenn dort Marihuana zugelassen sei. Die Umweltschutzbehörde vertritt Obamas Klimaschutzziele so offensiv wie nie zuvor.

Laut einer Umfrage von Real Clear Politics billigen 46 Prozent der Befragten Obamas Politik - nicht schlecht für einen Präsidenten in seiner zweiten Amtszeit. Aber Obamas Kurs spiegelt auch eine Entwicklung in der amerikanischen Gesellschaft wieder, die seit der Wirtschaftskrise eingesetzt hat. Immer mehr US-Amerikaner haben kein Problem mehr damit, sich selber als »liberal« einzustufen - was in den USA links bedeutet. 31 Prozent bezeichnen sich selber laut einer Gallup-Umfrage als liberal und ziehen damit erstmals seit 1999 mit den Konservativen gleich. »Das Wort liberal ist wieder en vogue«, verkündet Frank Newport von Gallup.

Obama muss nicht länger auf Wählerstimmungen Rücksicht nehmen, denn seine Amtszeit endet im kommenden Jahr. Und so gelingt ihm manches, das er zuvor aus Zögerlichkeit nicht durchsetzen konnte.

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