Das Leipziger Völkerschlachtdenkmal bei Probstheida wird abgetragen, verkauft und in den USA wieder aufgebaut. Ein Schock für Bürger und Touristen. Ein Glücksfall für die Stadtkasse. Diese höchst spektakuläre Aktion macht die sächsische Metropole zur ersten schuldenfreien Stadt in Ostdeutschland. Die geheimen Geschäftsakten lagen im Tresor des Oberbürgermeisters und kamen jetzt durch Indiskretionen an das Licht der Öffentlichkeit...
Kein Grund, um auf die Straße zu gehen, und für den Erhalt des bekanntesten Wahrzeichens einer Region zu demonstrieren. Man kann den Fall bequem aussitzen, denn diesen Deal gibt es nur auf der Kinoleinwand.
Über den sächsischen Raum hinaus bisher kaum zur Kenntnis genommen, erreicht die Produktion der jungen Filmfirma Movie-Sunset »Das Monstrum« zwischen Dresden und Leipzig allerdings den 10000. Besucher. Bei der Sommer-Open-Air-Premiere vor dem »traditionsbeladenen« Koloss reichten die Karten kaum aus. Miriam Pfeiffer und Rene Reinhardt - seit Jahren in Leipzig beheimatet - dachten sich die skurrile Geschichte rund um das Völkerschlachtdenkmal aus. Beide, seit Jahren beruflich dem Kino und Theater verbunden, erfüllten sich mit dieser ersten eigenen Spielfilmproduktion einen lang gehegten Regietraum. Die Mitteldeutsche Medienförderung beteiligte sich an der Finanzierung mit immerhin 160000 Mark, aber trotzdem musste jeder Förderpfennig mindestens drei Mal umgedreht werden, bevor er ausgegeben wurde. »Erst durch die uneigennützige Rückstellung der Gagen des kompletten Darsteller- und Aufnahmestabes wurde die Produktion möglich«, betont die knapp 30-jährige Miriam Pfeiffer. Und Rene Reinhardt, Absolvent der Schauspielschule »Ernst Busch«, erinnert sich an überlange Drehtage, »aber nur so blieben die Produktionskosten in finanzierbarem Rahmen«. Ein Rezensent schwärmte: »Ein derart liebevoller Blick auf die herbstliche Messestadt wurde im Kino noch nie geworfen. Von spannend bis schräg.« Ganz oben auf der Besetzungsliste, neben Thomas Dehler und Lisa Martinek, die renommierte Corinna Harfouch. Sie spielt eine in den USA lebende Marketingexpertin, die in Leipzig einiges zu klären und aufzudecken hat. Aus Freude am Spiel stellte auch der Star an das Team keine Gagenforderung und förderte so mit seiner Prominenz das ehrgeizige Projekt.
Ein anderer Hauptdarsteller meldet dieser Tage jedoch sehr wohl seine finanziellen Vorstellungen an, nämlich das »Monstrum« selbst. Die unbezahlbare Höhe von 61 Millionen Mark, die Bauexperten jetzt für das Probstheidaer Urgestein veranschlagen, bringt zwar nicht die Filmleute, aber fast den Turm des steingrauen Leipziger Neuen Rathauses ins Wanken. Zumal Georg Girardet, der Kulturbeigeordete des Leipziger Oberbürgermeisters, zwar die Drehbuchidee des Films »ganz apart« findet, sie jedoch andererseits, trotz aller Finanznöte der Stadt, »wahrlich nur für filmtauglich« hält. In seinem Arbeitszimmer erinnert ihn übrigens täglich ein originaler schwarzgrauer Gesteinssplitter an die dringende Sanierung des 1913 geweihten Denkmals. Schon zum 80-jährigen Jubiläum 1993 hieß es in einem Gutachten: »Notwendige Instandsetzungen wurden in den letzten 50 Jahren nur behelfsmäßig und vereinzelt durchgeführt. Um auch längerfristig die Stand- und Nutzungssicherheit des Völkerschlachtdenkmals zu erhalten, sind in den nächsten Jahren umfangreiche Arbeiten erforderlich.«
Inzwischen ist es weiter in die Jahre gekommen, noch grauer, feuchter und keineswegs attraktiver geworden. Aber: Die Riesenmasken, Schwerter und Ritter des Denkmals wollen Leipziger und ihre Besucher nach wie vor sehen und begehen. Schon auf dem kleinen Parkplatz vor dem Denkmal sieht man an den Autokennzeichen: Die Fahrer nehmen schon einige Kilometer in Kauf, um von der Aussichtsplattform in knapp 100 Metern Höhe auf die Stadt an der Pleiße und Elster zu blicken. 300000 Besucher pilgern jährlich an diesen Ort, der einem beim Aufsteigen fast den Atem nimmt. Immerhin erstehen rund zwei Drittel eine Eintrittskarte.
Unübersehbar derzeit nicht nur der steinerne graue Koloss, sondern neben dem Parkplatz eine akkurat mit Großbuchstaben beschriftete Holztafel, die man auch bequem von einer gesponserten Parkbank aus in aller Ruhe studieren kann: »Hier baut die Stadt Leipzig - Dezernat Stadtentwicklung und Bau - im Auftrag des Dezernats Kultur mit Fördermitteln des Bundes, des Freistaates Sachsen, der Deutschen Umweltstiftung und mit Unterstützung des Fördervereins e.V.« Das goldene, geschraubte kleine Metallschild auf der Parkbank verrät dagegen: »Ich bin gestiftet von Familie Wagner aus Schweinfurt«.
Mit der Vermutung, bis 2013, dem nächsten Jubiläum, müsse wohl alles viel schöner aussehen, kann der Aufstieg beginnen. Nach gut 100 Metern erkennt der wissende, gebildete Besucher, falls er sich vorher das Video »Leipzig - gestern und vorgestern« gekauft und angeschaut hat, exakt die Stelle, wo seinerzeit Deutschlands Kaiser und Sachsens König das Völkerschlachtdenkmal einweihten. Die damals für die gekrönten Häupter genau waagerecht verlegten Platten werden heute - wenn man nicht aufpasst - zu großen Stolpersteinen, auch viele der Treppenstufen sind ausgeplatzt und haben sich teilweise selbst begrünt. Nach Aussage des Kulturbeigeordneten Girardet kostet »allein die Verkehrssicherheit dieses Bereiches zirka drei Millionen Mark«.
Banknoten darf man als seriöser Politiker und engagiertes Vereinsmitglied nicht drucken, sondern muss sie auf möglichst originelle Weise sammeln. Nach gescheiterten Versuchen, diverse Finanzbeteiligungen von Fürstenhäusern, Städten oder wohlhabenden Kaufleuten zu erstreiten, wurde bereits 1894 der »Deutsche Patriotenbund« rekrutiert, um die so genannte »Operation Probstheidaer Völkerschlachtdenkmal« generalstabsmäßig zu führen. Zuerst musste - wie es hieß - Geld gefasst werden. Mit einer Pfennigsammlung unter den Schulkindern wurden 50000 Mark allein in Leipzig zusammengetrommelt. Bis 1912 hatten die Patrioten die Summe von 4 411636 Mark und 56 Pfennigen in der Kasse. Und so versteht sich auch der etliche Jahre später, nämlich 1998 gegründete Förderverein e.V., wie auf seiner Internetseite www.voelkerschlachtdenkmal.de angedeutet, als starke Lobby für das Denkmal, aber auch als fantasievoller Werber für die dringend benötigten Spenden. »Denn: Nur mit dem bürgerschaftlichem Engagement aller hat Leipzigs Wahrzeichen eine Zukunft.«
An der realen Denkmalkasse und im engen Behelfs-Service-Shop entdeckt der kauflustige Besucher und Betrachter wie überall auf der Welt Geschmackvolles neben Geschmacklosen. Für 21,95 DM kann ich das Denkmal nach Hause tragen und danach anzünden. Nur wenige erwärmen sich für die klobige, dunkle Kerze. Literaturfreunde fragen eher nach Erich Loest und seinem Roman »Völkerschlachtdenkmal«, das wird den diesbezüglich engagierten Schriftsteller auch als Kuratoriumsmitglied doppelt freuen. Viele Käufer erwerben eine der zahlreichen Postkarten mit einem so genannten Echtheitszertifikat. Für immerhin 7,50 Mark gibt es nicht nur historische Fotografien, sondern als eingearbeitete Zugabe einen steinernen gereinigten Originalsplitter des Denkmals.
Diese Karten verkaufen sich gut, verursachen aber beim Vereinsmitglied Klaus-Michael Rohrwacher nach wie vor Zornesfalten. Denn seine Baufirma schnitt und zerkleinerte alte Treppensteine des Denkmals für die Spendenpostkarten, aber die Postkartenfirma Steinteam missverstand diese Arbeiten offenbar als Spende und steht seit langem bei dem Steinmetzbetrieb Rohrwacher mit einigen 1000 Mark in der Kreide. Über eine andere Summe diskutiert der geschäftstüchtige Mann vom Bau jedoch nicht. Auch er hält die jetzt begutachteten 61 Millionen für die Rekonstruktion für eine reale Größe. »Denn die jetzigen Ergebnisse errechneten nicht nur Baudiagnostiker aus Niedersachsen und Thüringen, sondern auch anerkannte Fachleute des Städtischen Hochbauamtes.«
Ein imposantes Gerüst, derzeit an der Westseite des Denkmals angebaut, dient genauen Analysen von Steinverfugungen der Fassaden und eventuellen Verformungen. Die gesamte Oberfläche ist durch Jahrzehnte hinweg unterschiedlich verschmutzt. Zudem führte auch die jahrelange Sonneneinstrahlung zu verschiedensten negativen Reaktionen. Je dunkler und schmutziger, desto intensiver die Sonnenspeicherung der Außenhaut und unerwünschte Spannungen am Stein. Auch deshalb wird das Völkerschlachtdenkmal nicht, wie bisher favorisiert, ein grauer Klotz bleiben, sondern mittels neuer Technik auch außen gereinigt.
Davon ahnen und sehen die jetzigen Besucher noch nichts. Lediglich ein muffiger Geruch nimmt einigen im Eingangsportal den Atem, wenn sie sich über die dort stehende gläserne Truhe beugen und eine Münze oder einen Geldschein hineinstecken, sich dem Souvenirrummel mittels Bargeldgaben verweigern. »Noch 364 Stufen« hallt es plötzlich im Vorraum, bei dieser ausgerufenen körperlichen Anstrengung zögern nun doch einige, ob sie den Weg nach oben wagen sollen. Steigfaul sind übrigens nicht nur die Leute von heute, auch unsere Vorväter gingen bequemere Wege. Ein Aufzug ermöglichte es. Im Jahre 2001 erinnert sich kaum noch jemand an ihn, denn nach 1945 wurde er nicht mehr in Betrieb genommen. »Schatzi wo bist duuhuhuhuu...« - erschrocken über das unerwartete Echo seines eigenen Rufs verstummt der gebürtige Rheinländer rasch. Man hätte ihn nicht nur warnen sollen, wie viele Stufen ihm bevorstehen, sondern auch, wie viel Sekunden die außergewöhnlich lange Nachhallzeit beträgt. Die denkmalseigenen bekannten Chorsänger bauen diese 15 Sekunden exakt in ihre Klangbilder ein.
Der erschrockene Rufer steigt aber doch nach oben, sein Schatz bleibt unten und schaut in der Krypta etwas ratlos auf die 5,5 Meter hohen trauernden Schicksalsmasken. Sie versinnbildlichen das Sterben. Woher soll das die Besucherin wissen, wenn es ihr keiner erklärt und die nächste Führung erst in einer Stunde beginnt? Dafür tönen entsprechende Trauerklänge aus einem schwarzen Lautsprecher, den eine der steinernen Riesenmasken als radiophonen Aufputz auf dem Haupt trägt. Die neuere Zeit verewigt sich aber nicht nur auf diese hörbare, sondern auch auf lesbare Art in den immer enger werdenden Wendeltreppen, die schließlich nur noch Schlanke und Ranke unbeschmiert von alter Wandfarbe besteigen können. Aus den gekritzelten Sprüchen junger Leute anno 2001 zitiert: »Ich war hier ... und Du ? Nazis never! Punk for ever! Ruf Sebastian an, ich suche eine Freundin« (Telefonnummer wurde säuberlich notiert).
Endlich oben auf der Plattform angelangt, heißt es, tief Luft holen. In 91 Metern Höhe leiert an diesem Tage niemand mehr den alten Kinderwitz herunter »Hier sehen Sie Leipzig als Stadt an den vier Meeren: morgens ein Nebelmeer, mittags ein Häusermeer, abends ein Lichtermeer und nachts, da sieht man gar nichts mehr.« Viel wichtiger ist es, die Hand am Kopf zu haben, damit der stürmische Dezemberwind einem nicht die Baseballkappe auf Nimmerwiedersehen davontreibt. Kaum jemand erinnert sich in diesem Moment daran, dass die Völkerschlacht im Oktober 1813 die Entscheidungsschlacht des Herbstfeldzuges der Befreiungskriege war: Die Operationen der verbündeten Armeen unter Karl Fürst Schwarzenberg zwangen Napoleon I. zum Rückzug von Dresden nach Leipzig, wo es am 16. Oktober nach zahlreichen Vorgefechten zur Völkerschlacht kam. 205000 Männern der Alliierten standen 190000 Soldaten Napoleons gegenüber. Am 19. Oktober wurde Leipzig eingenommen und König Friedrich August von Sachsen gefangen gesetzt. Napoleon entkam.
Bereits ein Jahr nach dem Ende der Völkerschlacht vertraten die Verleger Friedrich Arnold Brockhaus und der Schriftsteller Ernst Moritz Arndt die Idee eines Mahnmals. »Daß auf den Feldern bei Leipzig ein Ehrendenkmal errichtet werden muß, das dem spätesten Enkel noch sage, was daselbst im Oktober des Jahres 1813 geschehen, darüber ist in ganz Teuschland, ja wohl fast in der ganzen Welt nur eine Stimme [...] Ein kleines unscheinbares Denkmal, thut es nicht [...] so muß es groß und herrlich seyn, wie ein Koloß, eine Pyramide, ein Dom in Köln.« Es dauerte aber noch einige Jahre bis zum ersten Spatenstich am 18. Oktober 1898. Durch für die damalige Zeit erstaunlich moderne Technik gelang es, das Großprojekt des in Borna geborenen Architekten und Gründers des »Deutschen Patriotenbundes« Clemens Thieme mit nur wenigen Leuten zu errichten. Glaubt man den alten Aufzeichnungen, so sollen regelmäßig nur an die 40 Bauarbeiter ins Schwitzen gekommen sein.
Im 21. Jahrhundert steht ein ganz anderer Kraftakt der Stadt Leipzig bevor, die seinerzeit etwa eine Million Mark für das benötigte Baugelände zur Verfügung stellte. »Neben der Thomaskirche mit dem Grab Johann Sebastian Bachs ist das Völkerschlachtdenkmal das international bekannteste historische Wahrzeichen Leipzigs, ganz gleich, ob einem die Architektur nun gefällt oder nicht«, sagt Kulturbeigeordneter Georg Girardet. »Darum steht und bekennt sich die Stadt, trotz äußerst prekärer Haushaltslage, natürlich zu ihrer Verantwortung. Als europäisches Friedensmemorial soll es in die Zukunft wirken, einschließlich seiner Kriegs- und Opfergeschichte. Das Wahrzeichen ist auch nicht einsturzgefährdet, wie immer mal wieder gemunkelt wurde.«
Dem Stiftungsgedanken von CDU-Kommunalpolitikern schloss sich jetzt kurz vor Jahresschluss Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee (SPD) an. So können noch kurzfristig 15 Millionen Fördermittel fließen. Durch diesen politischen Kunstgriff kann auch zunehmend sensibler auf den kultischen Missbrauch des Areals durch Rechtsradikale reagiert werden.
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