Schatten der Vergangenheit

Die prominenten Doper Lance Armstrong und Michael Rasmussen treffen am Rande der Tour aufeinander

  • Tom Mustroph, Valence
  • Lesedauer: 4 Min.
Auf der 14. Etappe wurde Chris Froome mit einem Becher voll Urin beworfen und des Dopings bezichtigt. Gibt es die dopingfreie Tour?

Der eine ist richtig bei der Tour, der andere nur an dessen Peripherie. Michael Rasmussen, zweifacher Bergkönig der Tour de France, ist als Kolumnist einer dänischen Tageszeitung bei der Tour akkreditiert. Er kam erst nach den Pyrenäenetappen zur Tour, vermied also die bizarre Situation, schon in Pau, dem Ort, an dem sein damaliger Rennstall Rabobank ihn 2007 von der Tour verbannte, weil er Dopingkontrollen umgangen hatte, zum Tourtross zu stoßen.

Rasmussen hatte aber Gelegenheit, in der Etappenstadt Mende Lance Armstrong zu treffen. Der US-Amerikaner ist der Tour einen Tag voraus. Er nimmt an einem Benefizrennen zugunsten einer Leukämiestiftung teil, das jeweils einen Tag vor den Tour-Profis auf dem Parcours einer originalen Etappe ausgetragen wird. Ohne Straßenabsperrung, ohne Polizisten, die den Verkehr umleiten, ohne Start- und Zieldorf, versteht sich. Nicht ganz ohne Kameras allerdings. Bei Armstrongs erstem Auftritt am Donnerstag waren etwa 150 Journalisten vor Ort. Vor der zweiten Etappe, an der Armstrong teilnahm, war da nur noch Rasmussen. »Wir haben uns ja zehn Jahre lang nicht mehr gesehen, seit der Podiumszeremonie in Paris 2005«, erzählte Rasmussen »nd«. Der Däne wurde damals Bergkönig, Armstrong gewann die Tour, seine letzte von insgesamt sieben. Armstrong wurden die Titel aberkannt, nach Jahre langem juristischen Ringen. Rasmussen hingegen wurden seine Erfolge nicht entzogen; er legte zum Karriereende selbst ein umfangreiches Dopinggeständnis ab.

Diese Diskrepanz, aber auch, dass er jetzt bei der Tour sein kann, Armstrong indes wohl nur unter falscher Identität eine Akkreditierung als Medienschaffender erhalten hätte, wertet der Däne als Beleg dafür, dass der Radsport weiterhin von persönlichen Vorlieben und Antipathien getrieben wird und gleiches Maß für alle nicht kennt. In seiner Zeit als Manager des dänischen Teams Christina Watches hat er dies selbst erlebt. »Manche Rennveranstalter haben uns sehr gute Antrittsprämien gezahlt, andere wollten uns gar nicht dabei haben. Bei der Tour of Norway durften wir in einem Jahr starten, obwohl ich selbst da noch fuhr und auch Thomas Dekker (ein anderer früherer Dopingsünder aus dem Rabobank-Rennstall). Als im Jahr darauf Stefan Schumacher für uns antreten sollte, wurden wir auf einmal nicht mehr eingeladen«, erzählt er.

Neben der Lex Armstrong gibt es, auf kleinerem Niveau, auch eine Lex Schumacher; dem ehemaligen Gerolsteiner-Profi mit der positiven Epo-Probe wird der Zugang zu manchem Rennen nicht gewährt, während andere Ex-Doper sogar beim Prestigerennen Tour de France munter im Peloton fahren oder im Begleitwagen Anweisungen geben können. Den aktuellen Profis gesteht Rasmussen gegenüber »nd« einen »Kulturwandel« zu. Es gäbe zahlreiche Fahrer und einige Rennställe, für die Doping kein Weg zur Leistungssteigerung sei, stellt er fest. »Ein 100-prozentig dopingfreier Sport ist aber nicht zu erreichen. Es gibt immer Leute, die Lücken nutzen. Und Lücken gibt es«, so Rasmussen. Er sieht hier die Wächter in der Verantwortung - und erzählt eine Geschichte der »alten« UCI.

»Am Donnerstag der letzten Tourwoche im Jahr 2005 kam der medizinische Direktor der UCI, Mario Zorzoli, zu mir und meinem damaligen Mannschaftsarzt, und konfrontierte mich mit einem stark veränderten Blutwert. Wir diskutierten kurz darüber und er sagte mir dann: ›Mach das bloß nicht wieder.‹« Rasmussen fühlte sich in dieser Situation als ein »geschützter Fahrer«, wie er sagt, als ein von den Antidopingautoritäten selbst vor Kontrollen geschützter Fahrer. Zorzoli war auch der UCI-Verantwortliche, der im letzten Jahr Chris Froome ganz unbürokratisch eine sogenannte Therapeutische Ausnahmegenehmigung für ein auf der Dopingliste stehendes Kortikosteroid erteilte. Nach zwischenzeitlicher Suspendierung ist er wieder in Rang und Ehren bei der UCI. Der damalige Teamarzt von Rabobank, Geert Leinders, heuerte später bei Team Sky an - und wurde in diesem Jahr von der US-Antidoping-Agentur USADA wegen Hilfe zum Doping lebenslang gesperrt. Team Sky trennte sich nach sehr langem Zögern von Leinders.

Strukturen im Radsport sind nicht einfach. Immerhin konstatiert Rasmussen aber einen Wandel. Und er sagt auch: »Alberto Contador und ich sind früher zum Plateau de Beille viel schneller hochgefahren als in diesem Jahr Froome und Quintana.« Er sagt es und lächelt, und man weiß nicht, ob das Lächeln bedeutet, dass er erfreut darüber ist, weil das bedeuten kann, dass die heutigen Fahrer nicht mehr dopen, oder stolz darauf, einfach mehr Leistung gebracht zu haben.

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