Kroatien feiert allein

20 Jahre nach Kriegsende drücken viele Probleme

  • Thomas Roser, Belgrad
  • Lesedauer: 3 Min.
Zwei Jahrzehnte nach Kriegsende taumelt Kroatien durch eine tiefe Wirtschafts- und Sinnkrise. Kritiker meinen, das Land brauche statt neuer Kriegsmuseen bessere wirtschaftliche Bedingungen.

Der Gastgeber muss seine Jubiläumsfeier notgedrungen ohne Gäste feiern. Als letzter der geladenen NATO-Partner sagte mit Slowenien ausgerechnet ein früherer Schicksalsgenosse die Teilnahme an Kroatiens geplanter Gedenkparade zum 20. Jahrestag der Rückeroberung der Krajina und des Kriegsendes am 4. August ab. Da sein Land selbst keine Militärparaden veranstalte, müsse es auch nicht an Paraden teilnehmen, die »andere organisieren«, begründete Sloweniens Premier Miro Cerar vergangene Woche etwas ungelenk den späten Rückzug einer ursprünglichen Zusage.

Cerar ist kein Einzelfall. Nur zwei US-Generäle und einige Botschafter wollen dem waffenklirrenden Aufmarsch zur Erinnerung der sogenannten Operation Sturm auf der Ehrentribüne beiwohnen - mitmarschieren will niemand: Allein, krisengebeutelt und hoffnungslos zerstritten wird der Adriastaat den 20. Jahrestag der Großoffensive feiern, die vor zwei Jahrzehnten das Ende des Kroatienkrieges einleitete - und gleichzeitig die dauerhafte Vertreibung von 230 000 Krajina-Serben aus ihrer Heimat besiegelte.

Er bedanke sich bei allen Staaten, die von einer Teilnahme an Kroatiens Parade absehen würden, ließ Serbiens Außenminister Ivica Dacic vergangene Woche wissen. Katerstimmung ist bei den Gastgebern schon vor dem Fest angesagt. Kroatien habe durch die Absagen eine »diplomatische Niederlage« gegen Serbien erlitten, die einen »bitteren Geschmack« hinterlasse, konstatiert die Zeitung »Novi List« in Rijeka: Es schmerze vor allem die Abwesenheit der USA - im Krieg noch ein »Schlüsselpartner« Kroatiens.

Doch nicht nur bei den NATO-Partnern, sondern auch in Kroatien selbst stoßen die geplanten, pompös anmutenden Jubiläumsfeiern auf eher unterkühlte Reaktionen. Denn ausgerechnet das bitterarme Knin, wo fast jeder vierte Bewohner von Sozialhilfe lebt, soll zum Jahrestag mit drei Großinvestitionen von zweifelhaftem Wert beglückt werden: mit einem Kriegsmuseum, einer neuer Großkirche sowie einem neuen Denkmal zu Ehren des Staatsgründers und Kriegspräsidenten Franjo Tudjman.

Die Art, wie Kroatien den Jahrestag zu feiern gedenke, sei ein klares Signal, dass sich das Land noch nicht bewusst sei, in welcher schwerer Krise es sich befinde, kommentiert bitter die Zagreber Zeitung »Jutarnji List«. Selbst die Feierlichkeiten seien zum »Instrument des Dauerkriegs« zwischen den regierenden Sozialdemokraten und der oppositionellen HDZ verkommen: »War die Operation Sturm umsonst? Die Souveränität, die Kroatien in einem blutigen Krieg verteidigte, droht es im Frieden zu verlieren.«

Tatsächlich taumelt Kroatien zwei Jahrzehnte nach Kriegsende und zwei Jahre nach dem EU-Beitritt durch eine tiefe Sinn- und Wirtschaftskrise. Die Staatsverschuldung ist auf fast 85 Prozent geklettert. Das Defizit von zuletzt 5,7 Prozent dürfte sich im begonnenen Streit um Stimmen vor den Parlamentswahlen zu Jahresende kaum mindern. Fast jeder zweite Jugendliche ist nach einer sieben Jahre lang währenden Dauerrezession arbeitslos. Die Freiheit eines Landes lasse sich nicht durch Monumente und Militärparaden verteidigen, warnt »Jutarnji List« - und weist mahnend auf Griechenland: »Wenn Kroatien der wirtschaftlichen Katastrophe nicht entrinnt, wird es über sein Schicksal bald nicht mehr souverän entscheiden können.«

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