Heiße Küche Friedrichshain

  • Volker Surmann
  • Lesedauer: 3 Min.

Vielleicht ist es ein neuer Trend, da geht Friedrichshain ja gern voran: Im Altbau gegenüber steht ein blonder Junge mit bloßem Oberkörper am offenen Küchenfenster und zupft Gewürze aus einem Blumentopf. Äußerst schmuck, muss ich sagen, und ich meine nicht das Basilikum.

Von meiner Schreibstube aus habe ich alle Vorderhausküchen gegenüber in meinem stets nach Inspiration dürstenden Blick. Und viel mehr als die Raufaser hinter meinem Bildschirm inspiriert mich der Blonde, vielleicht zwanzig Lenze jung, denn seine Küchenarbeitsbekleidung besteht lediglich aus einem weißen Handtuch um die drahtige Hüfte. Egal, zu welcher Tageszeit. Begegnet man ihm aber auf dem Gehweg, trägt er stets tiefschwarze Hipstermode. Doch zu Hause, ob morgens nach dem Aufstehen um zwölf (er ist mehr so der Eulen-Typ) oder abends um zehn beim Zubereiten seines Mittagsmahls: immer nur weißes Handtuch. Die restlichen Fenster seiner Wohnung sind verhängt, was mich zur Mutmaßung führt, der modische Jungberliner könne nicht nur hip, sondern auch freikörperkulturell veranlagt sein: ein Nudipster. Ist das einer dieser Berliner Trends, die ich in meinem Alter nicht mehr mitbekomme? Nach »naked boys reading« nun »male nude kitchening«?

Gestern fing dann der Herr im Stock darüber an, ebenfalls halbnackt in seiner Küche zu werkeln. Erstaunlich, wie viele Muskeln angespannt werden, um einen einzigen Topf abzutrocknen! Vielleicht ist es eine neue Art Workout und wurde von »Men’s Health« oder der »Apotheken Umschau« als urbane Trendsportart ausgerufen: Power Dishwashing: Stähle deine Muskeln am Edelstahltopf, trainiere deine Küchenkraft!

Ein bisschen neidisch bin ich schon auf die Oberkörper der beiden Haushaltsathleten. Ich sehe nicht so sexy aus beim Nudeln kochen. Meinem Körper sieht man an, dass ich selten Balkongewürze zupfe und ihn oft bejunkfüttere.

Doch da! Der blonde Beau de Cuisine zieht eine Coke aus dem Kühlschrank und führt sie lasziv an den Mund, dann gießt er sich die eisgekühlte Limonade über seine muskulöse Männerbrust. Ich blinzle, oh, war wohl nur ’n Tagtraum, er zupft nur Basilikum.

Zugegeben, als homosexueller Nachbar fühle ich mich von den beiden Haushaltshalbnudisten erotisiert, da wird ein Rücken schon zur Projektionsfläche fürs Kopfkino. Die wahre Erotik liegt ja in dem, was uns verborgen bleibt. Und es ist nun mal so: Von hinten betrachtet kann man nicht unterscheiden, ob der Ako-Pads-Adonis aus Etage vier gerade angebrannte Essensreste aus einer Pfanne scheuert oder über der Spüle autoerotisch tätig ist, vielleicht auch mit Ako Pads. Aber wieso sollte er das tun? Schließlich läuft nebenan seine Partnerin mit elektrischer Zahnbürste im Mund auf und ab. Berlin bei Hitze gibt immer Rätsel auf, doch wenn »half naked kitchening« der Sommertrend 2015 sein sollte, dann nur zu! Küchen und Rücken haben wir ja alle, muss ich nur noch meine Küche ins Arbeitszimmer rücken.

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