Was für ein Schlamassel!

Wie und warum erheben wir die Stimme gegen das Krisendiktat der Troika?

  • Markus Mohr
  • Lesedauer: 6 Min.

Seit dem Ausbruch der offenen Finanzkrise im Jahr 2008 geht es für manche Regionen der Welt weiter steil bergab. Die Krise rückt dabei auch auf Kerneuropa zu. Das Exempel Griechenland ist dabei schlagend. Die Arbeitslosenquote wurde bis heute auf ein Viertel der Bevölkerung hoch getrieben. Die Verzweiflung im Lande darüber ist groß, die Selbstmordrate war exorbitant angestiegen.

Auf der anderen Seite hat eine Welle der Resistenz das alte griechische Parteienkartell zerrüttet und eine gänzlich neue politische Formation an die Regierungshebel gespült: SYRIZA. Ihr hat es dabei nach ihrem Amtsantritt zunächst an schöner Symbolpolitik nicht gemangelt: Dass Varoufakis den Technokraten Jeroen Dijsselbloem auf offener Bühne den Stuhl vor die Tür gestellt hat - und damit die sowieso intransparent wie undemokratische agierende Troika für eine historische Sekunde killte, war eine große Freude für jeden Linken in Europa. Auch die Wiedereinstellung der kämpfenden Putzfrauen in ihre Jobs im Finanzministerium gehört in diese positive Bilanz.

Und der Hinweis von Varoufakis, dass es in den Sitzungen der europäischen Finanzinstitutionen »eine vollständige Verweigerung gab, sich auf ökonomische Argumentationen einzulassen«, war Aufklärung im besten Sinne über das Ende von Demokratie in eben diesen Institutionen. Die hier von Varoufakis beschriebene Szene muss man sich noch einmal sinnbildlich vor dem geistigen Auge betrachten: »Sie stellen ein Argument vor, an dem Sie wirklich analytisch gearbeitet haben – um sicher zu gehen, dass es logisch kohärent ist – und dann schauen Sie lediglich in leere Gesichter. Sie hätten genau so gut die schwedische Nationalhymne singen können. (…) Man hat nicht einmal Genervtheit gespürt, es war so, als ob man einfach nichts gesagt hätte.« So sieht das Leerlaufen im Gehäuse der herrschenden Demokratie aus.

Und dann wusste die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« über das überraschend entspannte und von gegenseitiger Sympathie getragene Verhältnis zwischen Merkel und Tsipras zu berichten. Menschliches wider aller kalten ökonomischen Vernunft? Iwo! Die FAZ schreibt über die Hoffnung von Merkel in dieser Angelegenheit: »Und sie sieht eine Chance: Tsipras kommt von außen, er ist kein Freund der Oligarchen wie seine Vorgänger. Er könnte Strukturen aufbrechen, Ungerechtigkeiten beseitigen. Das ist ihre Hoffnung.«

Wohl wahr! Wenn es denn ein menschlicher Instinkt gewesen sein mag, die Merkel Sympathie für Tsipras hat empfinden lassen, so lag sie damit für das, was aus der Perspektive des europäischen Hegemons an ökonomischen Erfordernissen in Griechenland ansteht, völlig richtig. Es ist Alexis Tsipras und kein anderer, dem es gelungen ist, die Sparmaßnahmen gegen die Bevölkerung mit großen Mehrheiten durch das Parlament zu bringen – eine Leistung, zu der sich das alte Parteienkartell als unfähig erwiesen hat. »Tsipras ist in den vergangenen zwei Wochen wirklich zum Staatsmann gewachsen«, weiß nun der Büroleiter der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung in Athen über diesen zu verbreiten.

Wenn das stimmt, dann scheint Tsipras Schrödersches Format zu beweisen. Da dürfen wir uns alle wohl demnächst auf die Biographie des als klug vorgestellten Politikers freuen. Dessen ungeachtet vollzieht sich in den Institutionen des bürgerlichen Staates mit der Figur des linken Tsipras erneut das, was Genosse Johannes Agnoli schon vor 40 Jahren als die Transformation der Demokratie gültig beschrieben hat. Tsipras ursprünglich fundamental-oppositionell begründete Politik ist nun, wie von Merkel klug vorhergesehen, einer »sozialen Umfunktionalisierung« zum Opfer gefallen und zielt »programmatisch auf die Erhaltung des gesellschaftlichen Status quo«. Was für ein Schlamassel! Der Begriff beschreibt eine Vielzahl von Unannehmlichkeiten, die von Ausweglosigkeit, Bredouille, Dilemma, bis hin zur Verlegenheit, Zwangslage und Krise reichen.

Da ist es nicht leicht die Stimme hier zum Widerspruch zu erheben. Die Genoss/innen von TOP B3RLIN haben es aber trotzdem probiert. Dagegen wie die Bundesregierung mit ihrer Politik die griechische Bevölkerung drangsaliert, haben sie auf dem Berliner Oranienplatz ein großes Transparent mit der Aussage: »Deutschland, du mieses Stück Scheiße« aufgezogen. Daran wurde kritisiert, dass eben diese Aussage aus dem Autonomen-Punk der frühen 1990er Jahre ein wenig »zu primitiv« sei. Nun ja. Die TOP-Genoss/innen haben in ihrem Statement dazu differenzierter argumentiert.

Und wenn solche Slogans dabei helfen können zu verhindern, dass hier in der Bundesrepublik des Neobiedermeier in Sachen Griechenland alle vor Wohlgefälligkeit einschlafen, dann hat es auch schon seine Funktion gut erfüllt. Gleichwohl: Die nächsten Proteste in dieser Angelegenheit müssen eben auch die griechische SYRIZA-Regierung in den Fokus nehmen. Evident hier doch allemal wie durch alle »Sparmaßnahmen« hindurch die Rüstungskooperation zwischen der Bundesrepublik und dem griechischen Staat ganz exzellent vor sich hin brummt.

Die Aussage: »Unser bester Kunde. Griechenland spart an allem – nur nicht am Militär. Sehr zur Freude von Deutschlands Rüstungskonzernen, die seit Jahrzehnten glänzende Geschäfte mit Athen machen« darf man in dem Hamburger Bürgerblatt »Die Zeit« lesen. Man findet sie gerade nicht verknüpft mit den spezifischen politischen Forderungen in einem Protestflugblatt der außerinstitutionellen Linken. Was für eine Peinlichkeit.

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