Rechtssystem aus dem 19. Jahrhundert

  • Jens Petermann
  • Lesedauer: 4 Min.

Als der Generalbundesanwalt i.R. Harald Range kurz vor seiner Demission die Beeinträchtigung der Unabhängigkeit der Justiz bei seinen Ermittlungen wegen Landesverrats beklagte, trug dies nicht nur tragikomische Züge - sondern warf Licht auf eine in der Tat kritikwürdige Rechtslage, deren Veränderung die Standesvertretungen der RichterInnen und StaatsanwältInnen - Neue Richtervereinigung und Deutscher Richterbund - seit langem fordern.

Generalstaatsanwälte sind politische Beamte, werden von der Politik oft nach Parteibuchlogik ins Rennen geschickt und sind weisungsabhängig. Dass heißt, dass der dienstvorgesetzte Minister letztlich unmittelbar entscheiden kann, ob und gegen wen strafrechtliche Ermittlungen geführt werden. Wie davon im »Normalbetrieb« Gebrauch gemacht wird, ist nicht bekannt. Solche Fälle kommen meist nur in besonderen Situationen ans Tageslicht, wie nun in der Causa Maas/Range.

Herrn Range war natürlich auch bewusst, dass er weisungsunterworfen und nicht unabhängig ist. Darauf hat er sich 2011 bei seiner Inthronisierung durch Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, damalige FDP-Justizministerin in der Regierung Merkel/Westerwelle, eingelassen.

Mit seiner Entlassung schließt sich übrigens der Kreis um diese peinliche Personalie, die vor vier Jahren ihren Anfang nahm. Das Amt des höchsten politischen Beamten der staatlichen Anklagebehörde stand damals unter dem Zugriff der FDP und deren Justizministerin, die Schwierigkeiten hatte, die Besetzung des lukrativen Posten mit einem Parteigetreuen nachvollziehbar zu begründen.

Ihr Nachfolger Heiko Maas (SPD) beendet nun diesen Fehlgriff. Dass aber Harald Range vor diesem Hintergrund die Unabhängigkeit der Justiz reklamiert, mutet schon grotesk an.

Die derzeitige Struktur der Justiz ist eben gerade von einer parteipolitischen Abhängigkeit geprägt. Auch dem Nachfolger im Amt des GBA, dem CSU-Getreuen Peter Frank, wird es so gehen. Weil eine unabhängige Justiz, wie sie übrigens in allen EU-Mitgliedsstaaten außer in Deutschland, Österreich und Tschechien besteht, nur durch eine von der Exekutive unabhängige, also dem Zugriff der Regierung entzogene Selbstverwaltung sichergestellt wäre.

Die Forderungen der Richter- und Staatsanwaltsverbände nach gesetzlichen Regeln zur Einführung der Selbstverwaltung der Justiz sind mehr als berechtigt. An dieser Stelle wirkt nun im Besonderen durch die Causa Maas/Range die normative Kraft des Faktischen. Eine Stärkung und Sicherung des Rechtsstaates durch Einführung von Regelungen zur Selbstverwaltung der Justiz ist unumgänglich.

Der Deutsche Bundestag hatte darüber bereits in der letzten Wahlperiode auf Initiative der Linksfraktion einen Gesetzentwurf debattiert, der leider keine Mehrheit gefunden hat. Die rot-rot-grüne Koalition in Thüringen hat sich indes im Koalitionsvertrag zu einem entsprechenden Reformprojekt verständigt. Die Umsetzung könnte sich nun beschleunigen.

Bereits 2009 forderte eine Vereinigung europäischer Richter und Staatsanwälte im »Berliner Appell«: »Gebt der deutschen Justiz eine stärkere Unabhängigkeit, die ihr von Verfassungs wegen, der Gewaltenteilung entsprechend und der europäischen Entwicklung gehorchend zusteht!«

Die Justizstruktur in Deutschland ist zu Kaisers absolutistischen Zeiten konzipiert worden und seitdem im Prinzip unverändert: Gerichte sind als Behörden den Ministerien »nachgeordnet«, Ministerien entscheiden über die Richter- und Staatsanwaltskarrieren, Ministerien entscheiden über die Ausstattung der Behörden. Das ist nicht europäischer Standard!

Das wusste übrigens die frühere Justizministerin bereits 2009, damals als Mitglied der parlamentarischen Versammlung noch nicht im Amt. Sie hatte in einem einstimmig angenommenen Bericht der parlamentarischen Versammlung an den Europarat empfohlen, die Unabhängigkeit der jeweiligen Generalstaatsanwälte zu stärken und sie möglichst frei zu machen von Weisungen, die letztlich immer sehr schnell politisch interpretiert werden.

Ein Prinzip europäischer Politik ist das Bekenntnis zur Unabhängigkeit der Judikative als zentrales rechtsstaatliches Prinzip. Nach wie vor aber werden in der Bundesrepublik, getragen vom politischen Willen derjenigen, die die Macht haben, Reformen behindert. Die Causa Maas/Range verdeutlicht nun unabweisbar den Reformbedarf.

Wenngleich die Gesetzentwürfe der Linksfraktion aus dem Jahr 2013 seinerzeit nicht mehrheitsfähig waren, beschreiben sie einen Weg zur Herstellung der institutionellen Unabhängigkeit der Justiz. Viele europäische Nachbarn haben bereits ein fortschrittliches selbstverwaltetes Justizsystem mit einer unabhängigen Staatsanwaltschaft. Die Parlamentarische Versammlung des Europarates hat die Bundesrepublik aufgefordert dieses System zur Sicherung der richterlichen Unabhängigkeit in Deutschland einzuführen.

Mit seinem gegenwärtigen Justizsystem aus dem 19. Jahrhundert würde Deutschland heute die Aufnahmekriterien der Europäischen Union nicht mal erfüllen - die Causa Maas/Range ist Sinnbild dafür.

Der Autor ist Sozialrichter in Gotha. Von 2009 bis 2013 war er für die Partei »Die LINKE« Mitglied des deutschen Bundestags und dort Rechtspolitischer Sprecher seiner Fraktion.

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