In ukrainischen Wäldern

Martin Leidenfrost über Transkarpatien, den rechten Sektor und Helden unterschiedlichster Sorte

  • Martin Leidenfrost
  • Lesedauer: 4 Min.

Als ich lese, dass sich wieder einmal ukrainische Nationalisten im Wald verstecken, breche ich auf. Ins multiethnische Transkarpatien, in die westlichste Region der Ukraine, 1200 Kilometer vom Kriegsgebiet entfernt. Am 11. Juli glich das Städtchen Mukatschewo einem Actionfilm. Sechs Jeeps des »Rechten Sektors« hielten mit aufgepflanzten Waffen vor dem Fitnessklub des Parlamentsabgeordneten und Schmuggelkönigs Michail Lano. Nach der Schießerei verfolgten Polizei, Geheimdienst und Hunderte Nationalgardisten neun rechtsextreme Kämpfer in die Wälder der Karpaten hinauf. Die Bilanz: drei Tote. Einen Monat später werden die Wälder angeblich immer noch durchkämmt.

In der Gebietshauptstadt Uschgorod, beim Pressechef des neuen Gouverneurs Gennadij Moskal. Überall hängen Fotos von Moskal, einem dicklichen Glatzkopf in martialischen Posen. Der Pressechef ist ein hagerer Glatzkopf, beide waren vorher im ukrainischen Rest des Lugansker Gebiets eingesetzt. Moskal ist dort verhasst, da er etwa den neuen ukrainischen Grenzort Staniza Luganskaja rigoros vom separatistisch kontrollierten Lugansk isolierte und vielen Bewohnern der Vorstadt ihre Lebensgrundlage nahm. In Transkarpatien besteht Moskals Ansatz darin, einerseits schmuggelnden Zöllnern mit der Front zu drohen und andererseits den Rechten Sektor Transkarpatiens als Häuflein vorbestrafter Drückeberger zu beschimpfen. Ich frage: »Wie ist das möglich, dass man die nicht längst gefunden hat? Die hatten kein Wasser, kein Essen. Helfen ihnen die Dörfler?« - »Ich denke ja. Für manche sind das Helden.« - »Sie halten sie offenbar nicht für Helden.« - »Das sind Banditen. Helden stehen im Osten an der Front.«

Ich fahre zum »Stab« des Rechten Sektors. Eine nüchterne Stadtvilla mit Tarnnetz davor. Drinnen eine Military-WG mit zwei Mal Training täglich. An der Wand lehnt ein Gewehr, »Kinderspielzeug nur«. Mich empfängt Gebietsführer Oleksandr Satschko, ein netter Dicker mit effektvoll gesenkter Stimme. Er zieht ein Bein nach. »Verletzt?« - »Ein klein bisschen.« Er zeigt mir das Gruppenfoto einer Einheit, »zwei Drittel sind inzwischen im Osten gefallen.« Gegen Moskal will er klagen. Er habe zwar auch frühere Zigarettenschmuggler in seinen Reihen, aber keine Vergewaltiger und Drogenproduzenten wie Lano.

Satschko steht hinter seinen flüchtigen Männern. »Der Rechte Sektor ist eine Familie, diese Männer verteidigen ihr Land«. Oft wirkt er gerührt. Seinen drei Monate alten Sohn habe er zwei Monate nicht gesehen; der in Mukatschewo erschossene Mitstreiter »war ein Freund«. Satschko war Geschichtslehrer, war im rechtsextremen Wehrsportverein »Trisub«, hatte einen Waffenladen. Einer jener Ukrainer, die die Sowjetmacht noch Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg aus den Wäldern heraus bekämpften, war sein Uropa. »Er wurde erst 1948 vom NKWD gefasst. Ich glaube aber, wer in den Wald geht, der verliert. Wir gehen besser nach Kiew. Oder noch weiter.« - »Nach Moskau?« Er lächelt düster: »Mal kucken.«

Ich fahre nach Mukatschewo, zu Lanos Fitnessklub. Satschkos Version der Schießerei lautet, dass seine 15 bis 20 Kämpfer im »Antares« von 100 bewaffneten »Tituschkos« erwartet worden seien, gedungenen Schlägern sportlicher Natur. Fragt mich nicht, was wahr ist, jedenfalls waren diese Tituschkos in keinem Bericht oder Video zu sehen. Bei meiner Ankunft ist es heiß, zwei leptosome Teenager mit nackten Oberkörpern bewachen unbewaffnet die offene Einfahrt. Einer hat den »Vorfall« erlebt: »Idioten, Arschlöcher! Mit panzerbrechender Munition in ein Wohngebiet zu schießen!« Tatsächlich wird soeben ein Kinderwagen vorbeigeschoben. Ich erwähne das Gerücht, dass im »Antares« Separatisten für eine nie ausgerufene »Transkarpatische Volksrepublik« trainiert hätten. Der Bursche, dessen Vorderzähne ziemlich demoliert sind, führt mich in den Saal. Vier Männer und zwei Frauen schwitzen an den Geräten. Er prustet los: »Sehen Sie, unsere Separatistenmädels!«

Ich folge dem Fluchtweg des Rechten Sektors in die Karpaten hinauf. Alle Dörfler dort widersprechen den Verlautbarungen der Behörden. In Lawki finde ich einen Cousin des erschossenen Kämpfers: »War ein normaler Typ, drei Monate an der Front. Sie wollten bestrafen.« Satschko sagt, dass sich die Geschichte wiederholt. In den Karpaten hinter Mukatschewo glaubt aber niemand, dass diese Nationalisten noch in den Wäldern sind.

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal
Mehr aus: Expedition Europa