Schauinsland der Bücherwürmer

Deutschlands einzige Literaturburg steht in Thüringen - hoch oben über Ranis

  • Danuta Schmidt, Ranis
  • Lesedauer: 4 Min.
Seit 18 Jahren ist die große Mittelalterburg in Ranis ein Veranstaltungsort der Thüringer Literaturtage. Neben dem großen Fest gibt es inzwischen etliche andere Formate, die von der Burg ausgehen.

Literaturhochburgen hat Deutschland etliche: Marburg, Augsburg, Weimar. Doch eine Literatur-Burg gibt’s nur einmal in Deutschland: Sie steht im thüringischen Ranis. Durch Bücher und ihre Liebhaber ist das Provinzstädtchen, das kaum einer kannte, zu Ruhm und Ehre gekommen. Doch einfach nur Lesen - das wäre zu einfach.

Seit 18 Jahren ist die große Mittelalterburg in Ranis Veranstaltungsort der Thüringer Literaturtage. Dass sich die Literaturszene ungewöhnliche Orte wie historische Bahnhöfe, abgerockte Kinosäle oder auch steinerne Burgen für ihre Darbietung sucht, ist nicht ungewöhnlich. Doch hier geht es darum, dass nicht die Autoren oder die Veranstalter nach einem ungewöhnlichen Ort Ausschau hielten, sondern die Wirtschaft. Die Wirtschaft war in diesem Fall sogar der Initiator für das Fest, das jährlich Tausende Bücherwürmer, von Berlin bis Dresden, vor allem aber aus den entlegensten Gegenden in ganz Thüringen, anlockt. Die Druckerei GGP-Media in Pößneck ist einer der Hauptsponsoren des Festivals - neben dem Thüringer Kultusministerium, den ortsansässigen Sparkassen und verschiedenen Unternehmen.

Der Autor Ingo Schulze schwärmte in der »Thüringer Landeszeitung«: »Wer auf der Burg Ranis lesen darf, hat den Ritterschlag der Literatur erhalten.« Auch der kürzlich verstorbene Harry Rowohlt hat eine Hymne auf die Literaturburg Ranis verfasst.

»In Sachen Literatur hat Thüringen drei große Flaggschiffe« schätzt Ralf Schönfelder vom Lesezeichen e.V., der die Thüringer Literaturtage jährlich veranstaltet, ein: »Das sind die Erfurter ›Herbstlese‹ und der Suhler ›Provinzschrei‹, der in diesem Jahr 15 Jahre Kultur in der Provinz feiert, und wir.« Für seine Arbeit auf der Burg Ranis fährt der Literaturliebhaber Schönfelder bisweilen quer durch die ganze Republik, sucht wenig bekannte, dafür sehr interessante Autoren für das jährliche Fest in Thüringen.

Seit mehr als einem Jahr ist der 33-Jährige Projektmanager, er hat ein Büro in Jena und eines direkt auf der Burg mit einem sehr weiten Blick. Der studierte Dramaturg ist selbst Thüringer. 40 Veranstaltungen fanden von Mai bis August in ganz Thüringen statt, so in Ranis, Neustadt/Orla, Gera, Nordhausen und Erfurt. Neben Bestseller-Autor Eugen Ruge, Schauspieler und Musiker Thomas Rühmann, Autor Thomas Brussig und Filmregisseur Andreas Dresen kamen auch viele weniger bekannte Künstler.

Außer dem großen Literatur-Festival gibt es etliche andere Formate, die von der Burg Ranis ausgehen. Die Reihe »Sind im Garten« läuft seit drei Jahren und ist die einzige dieser Art in Thüringen. In verschiedenen Thüringer Schlossparks, Kräuter- und Klostergärten finden Lesungen zum Thema statt. Die ausgewählten Kulissen machen die Veranstaltungen einzigartig.

Genauso einzigartig ist auch die Reihe »WortKlangLyrik«, die es bereits seit zehn Jahren gibt. In besonders kleinen Thüringer Orten finden Lesungen statt. Für die Dorfbewohner selbst ist die Literaturveranstaltung neben der Kirmes oder dem Fasching das kulturelle Highlight des Jahres. So wird ländlicher Raum durch Kultur belebt, in denen man sonst allenfalls die Hähne krähen hört.

Auch wenn Schönfelder hoch oben auf der Burg sitzt, hört und sieht er, was vor der Zugbrücke passiert: »Wir recherchieren nach guten jungen Thüringer Künstlern und Künstlern, die sehr fokussiert an einem Thema arbeiten.«

Doch der Blick geht auch in die Ferne, weit über die Burgmauern und die Berge hinweg. Heimatgeschichte und die Gedankenwelten der Thüringer sind genauso relevant wie globale und landespolitische Themen internationaler Autoren. Mit dem »Raniser Debüt« ist auf der Burg dafür eine Form gefunden worden. Ein Autor oder eine Autorin erhalten dabei die Chance, von Mai bis September auf der Burg an einem persönlichen Thema zu arbeiten. 2014 wurde diese Stelle zum ersten Mal ausgeschrieben.

»In diesem Jahr haben sich 120 junge Autoren aus dem gesamten deutschsprachigen Raum mit sehr hochwertigen Werken beworben« sagt Schönfelder. Vergeben wurde das »Raniser Debüt« schließlich an den Belgrader Denijen Pauljevic. In seinem Manuskript »Der Wundenleser« geht es um eine Militärbasis, auf der Soldaten auf ihren Kriegseinsatz vorbereitet werden. Der Autor selbst flüchtete während der Balkankriege nach Deutschland und lebt heute in München. In den kommenden Wochen arbeitet Pauljevic zusammen mit einem erfahrenen Verlagslektor an dem Manuskript weiter und stellt seine Arbeit dem Publikum vor. Ein Belgrader Burgherr - das hätten sich die Raniser nie träumen lassen.

Veranstaltungstipps unter im Internet unter: www.lesezeichen-ev.de/

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