Keine Zeit für einen Rechtsstreit

Gesundheitsgefahr Sammelunterkunft: Flüchtlingsfamilie braucht dringend eigene Räume

  • Josephine Schulz
  • Lesedauer: 4 Min.
Asmaa Albaram lebt mit ihrer Familie in einer Sammelunterkunft. Die Räumlichkeiten sind für die schwerkranke Frau eine dauerhafte Bedrohung. Eine eigene Wohnung bekommt die Familie nicht.

Drei zusammengeschobene Betten und ein Tisch stehen in dem Zimmer, die Wände sind kahl, Spielzeug gibt es kaum. Seit drei Monaten leben Ahmed Albaram, seine Frau Asmaa und die zwei kleinen Kinder auf engstem Raum in einem Flüchtlingslager in Lichtenberg.

Die Geschwister Shehab und Sheham fechten mit einem Besen, sie hüpfen auf den Matratzen und immer wieder kuscheln sie sich an ihre Mutter, die auf einem der Betten liegt. Asmaa kann nicht ohne Hilfe aufstehen, aus ihrem T-Shirt gucken Pflaster, die Schläuche verdecken. Wegen einer nicht funktionierenden Niere muss die Mutter mehrmals pro Woche zur Dialyse. Während Ahmed Wasser für den Tee aufsetzt, dreht er sich immer wieder nervös nach seiner Frau um. »Ich habe jeden Tag Angst, dass sie stirbt«, sagt er. Das Leben im Flüchtlingsheim ist für Asmaa eine permanente Gefahr, jede Unreinheit könnte für eine Infektion sorgen, jede Erkältung für ihr schwaches Immunsystem einen Zusammenbruch bedeuten. Im Heim muss sie sich die Toilette mit vielen Menschen teilen, nirgendwo gibt es einen sterilen Ort, an dem sie ihre Dialysebeutel wechseln könnte und immer sind die Kinder in ihrer Nähe, die sie mit schmutzigen Händen anfassen.

Die Familie braucht eine eigene Wohnung, das haben Ärzte und Sozialarbeiter mehrfach bestätigt. Aber die Behörden spielen nicht mit. Die Albarams haben in Deutschland Asyl bekommen, statt des Landesamtes für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) ist nun das Bezirksamt Mitte für sie zuständig. Flüchtlinge mit einem Aufenthaltstitel müssen eigentlich selbstständig eine Wohnung für sich suchen, in Härtefällen hat das Bezirksamt aber die Möglichkeit, der Familie einen Sozialarbeiter an die Seite zu stellen, der die Wohnungssuche übernimmt.

»Ich kann einfach nicht mehr«, sagt der Vater. Er schlafe kaum und wenn er schlafe, hoffe er manchmal, nicht wieder aufzuwachen. Er weint. Ahmed kann keine Wohnung für die Familie suchen. Weil er sich rund um die Uhr um die Kinder und die kranke Frau kümmern muss, hatte er nicht die Chance, einen Deutschkurs zu besuchen. Auch das Jobcenter sitzt ihm im Nacken, mit Terminen und Bewerbungen.

»Niemals hätte ich mir vorstellen können, welche Erniedrigungen uns hier in Deutschland begegnen«, sagt der Vater. 2012 floh die Familie aus Syrien. Ahmed krempelt Hemd und Hose hoch und zeigt die dunklen Abdrücke an Händen und Füßen - Erinnerungen an die Folter im syrischen Gefängnis. Er ringt um Fassung. Drei Jahre lebte die Familie in Jordanien, in einer eigenen Wohnung, dann verweigerte das UN-Flüchtlingshilfswerk die Zahlung der Medikamente seiner Frau. Medikamente, die sich Ahmed niemals hätte leisten können. Wenige Jahre zuvor war Asmaa in Syrien eine neue Niere transplantiert worden, alles war gut verlaufen. Der Bürgerkrieg und die Flucht aber wirkten sich aus, das neue Organ machte Probleme. Nach der Ankunft in Deutschland schickte man die Familie quer durch die Republik, bis sie schließlich in Berlin landeten. Hier kamen sie in eine Traglufthalle. Einen Monat verbrachten sie zusammen mit mehreren hundert Menschen in dem »großen Zelt«, wie Ahmed es nennt. Seiner Frau ging es bereits wieder schlecht, trotzdem trennte man die Familie. Ahmed musste auf die Seite der Männer, seine Frau blieb mit den Kindern auf der anderen. Als er den Mitarbeitern mitteilte, dass Asmaa das ausgegebene Essen aus gesundheitlichen Gründen nicht vertrage, blieb er mit der Antwort zurück, dann esse sie eben nichts.

»In Jordanien hat man uns erzählt, dass in Europa die Menschenrechte groß geschrieben werden, dass für Kranke und Kinder gesorgt wird«, sagt Ahmed. Der Vater könnte nun mit rechtlichem Mitteln für einen Sozialarbeiter und eine eigene Wohnung streiten. Aber wer soll das für ihn übernehmen und wer den Anwalt bezahlen? Ein Rechtsstreit kostet außerdem Zeit. Zeit, so fürchtet Ahmed, die seine Frau möglicherweise nicht hat.

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