Geistig insolvent

Neonazis sahen sich in Suhl Feiernden gegenüber

  • Sebastian Haak, Erfurt
  • Lesedauer: 3 Min.
Nirgends sind Rechtsextreme am Todestag des Nazis Rudolf Heß so konzertiert auf die Straße gegangen wie in Thüringen. Vor Flüchtlingsheimen zeigten Schutzsuchende überraschende Reaktionen.

Während die Neonazis es mit Sarkasmus versuchen, feiern etwa 150 Flüchtlinge ein kleines Volksfest. Keine hundert Meter stehen sie von den Rechtsextremen entfernt, dazwischen Dutzende Polizisten in voller Schutzmontur. Das Asylbewerberheim in Suhl, gegen das die Rechten demonstrieren und in dem diese Menschen derzeit untergebracht sind, liegt unweit von diesem Platz entfernt, am Rande eines Plattenbaugebiets. Aber von Angst ist bei den Menschen nichts zu spüren - wahrscheinlich auch deshalb, weil viele von ihnen tausende Kilometer zurückgelegt haben, um nach Deutschland zu kommen; weil die, die über das Mittelmeer gekommen sind, dem Tod bereits ins Auge geschaut haben.

Der Aufmarsch der Neonazis an diesem Montagabend in Suhl ist der insgesamt 14. dieser Art, der unter dem Label des selbsternannten Thüringer Pegida-Ablegers »Thügida« geschieht. Angefangen hatte die »Bewegung« als Sügida in Suhl Anfang des Jahres. Damals waren teilweise mehr als 1000 Menschen zu ihren Veranstaltungen gekommen. Jetzt sind die Rechten unter sich. Die »Wutbürger«, die ihnen einst in Scharen zugelaufen waren, halten sich inzwischen von ihnen fern - trotz der vielen Probleme, die es seit Wochen in dem völlig überfüllten Heim gibt. Selbst als die Rechtsextremen durch das nahegelegene eigentliche Wohngebiet ziehen, schließen sich ihnen keine Menschenscharen an.

Ideologisch bornierten Neonazis bietet der Pegida-Deckmantel trotzdem eine Bewegungsfreiheit, die sie jahrelang nicht hatten. Mit dem Aufkommen dieser Bewegung in Dresden ist bundesweit etwas ins Rutschen gekommen, das die Rechten so öffentlich präsent macht, wie sie es in Deutschland schon seit Jahren nicht mehr waren - gerade auch in Thüringen, dem Heimatland des NSU. An diesem Abend lässt es sich im ganzen Freistaat beobachten. Denn an diesem Montag - dem für die Rechten heiligen Todestag von Rudolf Heß - ziehen Rechtsextreme unter dem Thügida-Label nicht nur durch Suhl, sondern zeitgleich auch durch drei andere Städte des Freistaats: durch Erfurt, Nordhausen und Eisenberg. Auch in Eisenberg steht ein großes Flüchtlingsheim. Insgesamt sind nach Polizeiangaben in diesen Stunden in ganz Thüringen etwa 650 Rechtsextreme unterwegs. Zwar gibt es auch in anderen Bundesländern Aufrufe zu ... gida-Aufmärschen an diesem für die Szene wichtigen Tag - unter anderem in Berlin, Nordrhein-Westfalen und Bayern. Doch nirgends eben so abgestimmt, so konzertiert wie in Thüringen.

Die Volksfeststimmung bei den Flüchtlingen - zu denen Menschen aus dem Nahen Osten ebenso wie solche vom Balkan gehören - drückt sich in minutenlangen Tänzen und Jubelschreien aus. Während sie - hinter einigen Dutzend linken Gegendemonstranten - den Neonazis gegenüberstehen, rufen sie: »Danke, Deutschland!«, »Danke, Merkel!«. Sie umarmen, fotografieren sich und filmen Videos vom Polizeieinsatz.

Der Sarkasmus, mit dem die Neonazis bei dieser Gelegenheit auf eine neue Art »Ausländer raus!« sagen, ist von einer Art, dass man darüber laut lachen könnte, wäre das Thema nicht so ernst: Während die Flüchtlinge feiern, spricht sie einer der Rechtsextremen in einer Sprache an, die er für Englisch hält. Unter anderem versucht er ihnen zu erklären, dass sie aufgrund falscher Hoffnungen nach Deutschland gekommen seien. Man habe ihnen erzählt, Deutschland sei wohlhabend, sagt er. Das sei aber falsch. »The money ist over«, schallt es aus seinem Mikrofon. »This Land is insolvent.« Nur Minuten zuvor hatte einer seiner Kameraden von einem Bericht in der »Süddeutschen Zeitung« erzählt, nach dem viele Flüchtlinge deutlich gebildeter seien als viele Deutsche - sein höhnischer Unterton wirkt nun nur noch lächerlich.

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