Gift statt Pfeife - den Ratten auf der Spur
Wie Hameln heute gegen die Schädlinge vorgeht
Günter Löschner weiß fast alles über Ratten: Er kennt ihr Verhalten, ihre Fressgewohnheiten, ihre Lieblingsplätze. Das muss er auch, denn der 60-Jährige ist der offizielle Rattenfänger von Hameln in Niedersachsen. Anders als sein weltberühmter Vorfahr, der die Stadt 1284 mit der Flöte von den Ratten befreite, hat Löschner keine Pfeife und trägt kein buntes Gewand. Seine Waffe gegen die ungeliebten Nager ist Gift. Täglich ist er unterwegs, um den Ratten in Häusern, Scheunen und öffentlichen Gebäuden den Garaus zu machen. Bis zu zwei Tonnen Gift legt er jährlich aus.
»Überall, wo die Ratten sind, bin ich auch«, sagt Löschner, der ein schwarzes Basecap mit Rattenmotiv und ein orangefarbenes T-Shirt mit dem Aufdruck »Rattenfänger von Hameln« trägt. »Ratten sind Schädlinge, die an Lebensmittel gehen und an der Elektrik knabbern.« Er klärt vor allem auch die Menschen auf. »Nur gezielt Gift auszulegen bringt nichts, das Umfeld ist wichtig«, so Löschner, der seit 2004 in Hameln auf Rattenjagd geht. Leute, die Essensreste falsch entsorgen oder gelbe Säcke im Freien deponieren, locken die Nager erst an. »Ratten brauchen Wasser, etwas zu fressen und einen Unterschlupf«, sagt er. Wenn diese drei Dinge stimmen, dann bleibe jede Ratte am Ort.
An diesem Tag fährt Löscher in ein Dorf direkt an der Weser. Eine Einwohnerin hat im Schuppen eine mumifizierte Ratte gefunden. »Ein tolles Exemplar, bestens erhalten, sogar die Zähne sind noch alle drin«, sagt Löschner. Zwei Arten von Ratten gibt es in Deutschland: Wanderratten, die bis zu 40 Zentimeter lang und bis zu 500 Gramm schwer werden sowie die unter Artenschutz stehende schwarze Hausratte, die kleiner und leichter ist. Ratten sind sehr intelligent und anpassungsfähig.
In dem Schuppen, in dem Gerümpel, Werkzeug, Stroh und Spielsachen herumliegen, hat Löschner Rattenkot entdeckt. »Ich kann sie auch riechen, es stinkt nach Ammoniak«, sagt er. Der Rattenfänger befüllt eine schwarze Box mit einem pinkfarbenen Granulat, dem Gift. Dieses muss langsam wirken. »Ratten schicken Vorkoster voran«, sagt Löschner. »Wenn die gleich tot umfallen, frisst das keine andere mehr.« Der gelernte Kanalbauer kennt das unterirdische Netz der Stadt und weiß, wo sich die Nager gern aufhalten. Als nächstes fährt Löschner in eine Lagerhalle für Getreide. Mit einer Taschenlampe in der Hand krabbelt er in die dunkelsten Ecken. Wo Rattenkot liegt, sind die Laufwege, dort muss das Gift hin. Der Rattenexperte hängt grüne, gepresste Giftköder an einen Nagel. »Wenn der Köder baumelt, ist das für die Ratten besonders reizvoll.« In der Landwirtschaft ist die Bekämpfung ein Fass ohne Boden. »Eine ausgewachsene Ratte kann sich durch einen nur zwei Zentimeter breiten Riss quetschen, deshalb sind Scheunen stark betroffen«. Ein Rattenbefall wird dem Ordnungsamt gemeldet, dieses informiert dann den Rattenfänger.
Für Löscher zwar undenkbar, aber die Ratte ist auch ein beliebtes Haustier. »Farbratten, die von der Haus- und Wanderratte abstammen, werden sehr zahm und sind fixiert auf ihren Besitzer«, sagt Saskia Köstlinger, Tierärztin an der Tierärztlichen Hochschule Hannover. Ratten seien sehr soziale Tiere und sollten nur in Gruppen gehalten werden. »Die Farbratten sind sehr niedlich und haben ein ausgeprägtes Spielverhalten«, so Köstlinger.
Die Städte rechnen pro Einwohner mit ein bis zwei Ratten. »Durch das Wassersparen werden Fäkalien nicht mehr richtig weggespült und bleiben in den Kanälen hängen - das zieht Ratten an«, sagt Helmut Lemke, Sprecher der Stadtentwässerung Hannover. Rund 200 000 Euro investiert die Stadt jährlich in die Bekämpfung. Natürliche Feinde der Ratten sind Greifvögel, Marder, Füchse und Katzen. »Der größte Feind aber bin ich«, sagt Rattenfänger Löschner mit einem Grinsen und greift zum Gift. dpa/nd
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