Elefantenflüstern in München

Und am Ende gewinnen beim »Xiangqi« immer die Chinesen

  • René Gralla
  • Lesedauer: 4 Min.
Dieser Denksport begeistert in China die Massen. »Xiangqi« heißt zu deutsch: »Elefantenspiel«. Jetzt hat ein Chinese, der in München lebt und arbeitet, die Xiangqi-WM in Bayerns Landeshauptstadt geholt.

Moderne Sachlichkeit regiert im Quartier an Münchens Baierbrunner Straße. Die Zweckbauten sind nüchtern und funktional, kein Platz für Schnickschnack. Aber Seltsames wird am Tor zur Nummer 28 angekündigt: Ein Plakat zeigt eine ferne Landschaft, darüber schwebt ein Gitternetz, das rätselhafte rote und schwarze Steine dekorieren. Und im Audimax des Sprachen- und Dolmetscherinstituts SDI starren Frauen und Männer auf Bretter, die zugepflastert sind mit den gleichen kleinen Scheiben vom Poster draußen.

Doch das ist keine Versammlung von esoterischen Sinnsuchern. Hier geht es um Hochleistungssport, weil auf dem Campus die diesjährigen Weltmeisterschaften im »Elefantenspiel« entschieden werden. »Xiangqi«, so der Originalname, ist eine Art Schach, bloß ohne Figuren. Statt dessen begnügen sich die Fans mit chinesisch beschrifteten runden Plättchen. Seit Jahrhunderten wird Xiangqi im Reich der Mitte quer durch alle Gesellschaftsschichten gespielt, von der Landbevölkerung bis zur städtischen Elite. Geschätzt eine halbe Milliarde Anhänger machen das fernöstliche Schach zum beliebtesten strategischen Spiel auf dem Planeten. Und nun hat sich der Wahlmünchner Zhong Xue jetzt »einen persönlichen Traum« erfüllt und die 14. Xiangqi-WM an die Isar geholt.

Der energische 47-Jährige, Spitzname »Romeo«, stammt aus Peking und leitet heute in München eine Beratungsfirma für Telekommunikation. Die bayerische Landeshauptstadt sei seine »zweite Heimat« geworden, sagt Romeo Xue, und der habe er endlich etwas zurückgeben wollen: »München ist Sportstadt, war Gastgeberin der Schacholympiade 1958 und der Sommerspiele 1972 und ist stolz auf Spitzenfußball. Die Xiangqi-WM ist der logische und längst überfällige nächste Schritt.«

Ein Event, das Sportgeschichte schreibt: Das Völkerfest der Elefantenflüsterer im Kleinformat (zum Spielmaterial gehören tatsächlich auch Steine, die eine Elefantentruppe symbolisieren) feiert in der weiß-blauen Metropole seine Deutschlandpremiere und gastiert damit überhaupt erst zum zweiten Mal außerhalb Asiens. Entsprechend wichtig werden die Wettkämpfe in der Volksrepublik genommen: Zelan Chen, die stellvertretende Direktorin der Nationalen Sportverwaltung und geschäftsführende Präsidentin des Xiangqi-Weltverbandes, reist direkt aus Peking an. Ein Kamerateam des chinesischen Staatsfernsehens CCTV dreht, und die Spitzenfunktionärin Chen wünscht sich, dass die Menschen dank Chinaschach grenzüberschreitend neue Freundschaften schließen.

Im Turniersaal funktioniert das bereits sehr gut. Die 61 Aktiven aus 17 Nationen - neben China unter anderem Finnland, Japan und Russland - schenken sich nichts, trotzdem ist die Stimmung beinahe herzlich. Und manchmal richtig familiär: Aufmerksam sitzt Lucy neben Mama Li Chen, die in der Damenkonkurrenz punktet und ansonsten ein Reisebüro im schottischen Menstrie leitet. Lucy schiebt ihrer Mama ein paar Schokobonbons zu, zwecks Energienachschub. Und natürlich hat auch die Neunjährige schon die Xiangqi-Regeln drauf, das Vorbild der Mutter spornt an, schließlich wurde Li Chen 1999 in Shanghai Vizeweltmeisterin.

Für den Turnierausgang gilt in Abwandlung des bekannten Gary Lineker-Bonmots (»Fußball ist ein einfaches Spiel ... und am Ende gewinnen immer die Deutschen.«): ... und am Ende gewinnen immer die Chinesen. Großmeister Weitong Zheng marschiert ungeschlagen durch zum Titelgewinn vor seinem Großmeister-Kollegen und Landsmann Xie Jing. Während die Langnasen im Feld in den Kampf um die vorderen Plätze nicht eingreifen können. Sei’s drum, die Fremdsprachenkorrespondentin Daniela Schmidt aus Berlin findet es schlicht klasse, bei einer regulären Weltmeisterschaft anzutreten, »im Normalschach hätte ich diese Chance nie gekriegt«. Die 58-Jährige genießt einfach die WM-Atmosphäre: »In dieser internationalen Gemeinschaft zu spielen, das macht Spaß!«

Immerhin gelingt dem deutschen Xiangqi-Rekordmeister Michael Nägler (sechs Titelgewinne) in München ein Achtungserfolg: Der 58-jährige Radiologe aus Lingen ist der beste Nichtasiate, landet in der Spitzengruppe der zweiten Tabellenhälfte. Derweil bereitet Turnierchef Romeo Xue - er ist selber ins Rennen gegangen und belegt Platz 16 - den nächsten Coup vor: eine Jugendweltmeisterschaft im Xiangqi, zum ersten Mal in der mehr als 2000-jährigen Geschichte des Elefantenspiels, und wieder in München.

So sind sie, die Bayern: »Mia san mia«, im Fußball ohnehin, und jetzt womöglich noch im Chinaschach.

Weitere Infos zum chinesischen Elefantenspiel »Xiangqi«, mit Regeln und Turnierterminen: www.chinaschach.de

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