Das Kreuz mit dem Kirchenbau

In Moskau ist ein Streit um den Bau neuer Kirchen auf öffentlichem Grund entbrannt

  • Ute Weinmann, Moskau
  • Lesedauer: 6 Min.
Es geht um mehr als ein paar Grünflächen. In Moskau streiten Russisch-Orthodoxe und Kirchengegner wegen der Errichtung neuer Gotteshäuser. Im Park »Torfjanka« gab es schon Schläge und Tritte.

In Moskaus vielleicht nicht beschaulichem, aber relativ ruhigem Nordosten spielt sich seit Beginn des Sommers ein regelrechter Kulturkampf ab. Russisch-orthodoxe Gläubige - mal in Zivil, mal in Camouflage gekleidet - holen zum Rundumschlag aus gegen Kirchenbaugegner. Doch es handelt sich nicht um einen Religionskonflikt. Jenen, die gegen die Orthodoxen demonstrieren, geht es lediglich um den Erhalt eines Stücks Natur vor der Haustür. Schauplatz der Auseinandersetzung ist einer der vielen Parks, ohne die es in der russischen Hauptstadt längst keine Luft mehr zum Atmen gäbe. Die teils bewaldeten Grünflächen stehen eigentlich nicht als Baugrundstücke zur Verfügung, das gilt auch für den »Naturkomplex Nr. 65 auf der Smaragdstraße«, im Volksmund schlicht »Torfjanka« genannt. Dass gebaut wird, steht außer Frage. Über den Ort soll nach wochenlangen Protesten jedoch neu verhandelt werden.

Drei Jahre wird schon diskutiert. Damals sickerten Pläne für einen geplanten Kirchenbau auf dem als städtische Grünfläche ausgewiesenen Erholungsgebiet durch. Eine gesetzlich vorgeschriebene Anhörung ging unspektakulär und ohne öffentliche Beteiligung über die Bühne, denn die Anwohner erhielten erst post factum davon Kenntnis. Es folgten schriftliche Beschwerden, ein Gerichtsprozess und Verhandlungen mit den Behörden. Noch hielten sich die Emotionen in Grenzen. Am 18. Juni dieses Jahres begann für viele Anwohner indes ein neues Kapitel. An dem Tag rückten Bauarbeiter an, um Vorbereitungen zur Errichtung einer provisorischen Holzkapelle zu treffen, die später einem soliden Steinbau weichen soll. Ein Drahtzaun markiert eine Grenze, wo sich zuvor alle Fußgänger frei bewegen konnten. Zur Krönung wurde ein überdimensionales Holzkreuz auf dem Rasen aufgestellt.

Prompt versammelten sich Anwohner und lassen den Ort des Geschehens seither keine Minute mehr unbeaufsichtigt. Auch nachts halten mindestens drei Personen die Stellung, denn hinter dem Zaun haben sich radikale orthodoxe Aktivisten verschanzt, von denen etliche der Bewegung »Vierzig mal Vierzig« angehören. In ihren meist knallroten Shirts mit weißem Kreis und schwarzer Aufschrift sind sie nicht zu übersehen. Sollten die Polizei, orthodoxe Schläger oder Bauarbeiter in Erscheinung treten, macht dies unter den Gegnern des Kirchenbaus über ein ausgeklügeltes Informationssystem schnell die Runde. Im Bedarfsfall kommt dann Verstärkung zu Hilfe. »Sie haben uns Repressionen angdroht, aber einschüchtern lassen wir uns nicht«, sagt eine stämmige Frau im Rentenalter, und die Entschlossenheit in ihrer Stimme lässt keine Zweifel aufkommen. »Wir wollen, dass hier eine Grünfläche bleibt.« Ein älterer Mann erklärt derweil seinem Gegenüber, dass es der Kirche nur darum gehe, sich weitere Grundstücke anzueignen.

Es tauchen aber regelmäßig auch weniger kämpferisch anmutende Frauen in Kopftüchern auf, die sich vorsichtig erkundigen, wo sie ihre Unterschrift für den Kirchenbau hinterlassen können. Selbst aus dem Moskauer Umland finden sich Kirchenanhänger ein. Mobilisiert wird in großem Maßstab. Gewinnt die Gegenseite die Oberhand, rücken selbst die »Nachtwölfe« an. Vor einer Kundgebung am 9. Juli versperrten die nationalpatriotischen Biker Hauseingänge, um Bewohner an einer Teilnahme zu hindern.

Von ihren Gegnern wahlweise als Gottlose, Homosexuelle oder Maidan-Anhänger, die eine politische Eskalation herbeirufen wollen, diffamiert, versuchen die Anwohner des Parks »Torfjanka« mit einer öffentlichen Kampagne auf ein Problem hinzuweisen, von dem nicht nur sie allein betroffen sind. Anfang Juli haben sich über 50 lokale Moskauer Initiativen zusammengeschlossen, die sich aktiv gegen den Ausverkauf städtischer Grünflächen zur Wehr setzen. Überall sind die Probleme ähnlich gelagert. Handelt es sich um einen geplanten Kirchenbau, wird erst eine kleine Fläche freigegeben, die sich später erweitert, um der gesamten Infrastruktur, zu der auch Parkplätze gehören, den nötigen Platz zu bieten.

Im Park Drushby, der 1957 von den Delegierten der VI. Weltfestspiele der Jugend und Studenten angelegt worden war, regt sich derzeit ebenfalls aktiver Widerstand gegen geplante Baumaßnahmen. Dort machten sich vor eineinhalb Wochen Arbeiter daran, Bäume abzusägen. Sie wiesen sich zwar mit Papieren aus. Ob die aber echt waren oder die zuständigen Behörden sich mit der Erteilung einer Genehmigung über die geltenden Vorschriften dreist hinweggesetzt haben, ist unklar.

Selten gelingt es, so viel Öffentlichkeit herzustellen wie derzeit in der »Torfjanka«. Zu verdanken haben die Anwohner dies nicht zuletzt der schlagkräftigen Präsenz Orthodoxer, die den Konflikt ständig neu anheizen. »Sie kennen keine moralischen Tabus, sie haben auch Frauen geschlagen«, sagte Denis Gontscharenko, einer der Sprecher der Bürgerinitiative, dem »nd«. Er selbst bekam Schläge ab, eine Aktivistin erlitt eine Gehirnerschütterung. Anzeige wegen Körperverletzung haben sie in mehreren Fällen erstattet, die Namen der Täter sind bekannt. Ermittlungsergebnisse bleiben dennoch aus, und die Kirche spricht weiterhin von einem »friedlichen« Protest seitens der orthodox Gläubigen.

Überhaupt positioniert sich die Polizei auffallend zugunsten der Kirchenbefürworter. Bei den Kundgebungen nahm sie sogenannte Provokateure aus den Reihen der Kirchengegner fest, und immer wieder tauchen Uniformierte auf, um die Anwohner samt Stühlen und Regenschutzzelten vom Rasen vor dem ausgewiesenen Baugelände zu vertreiben.

Auch vor Gericht versuchten sich die Anwohner zu behaupten. Doch zogen sie jüngst ihre Klage wegen der unrechtmäßigen Anhörung zurück, von der nicht einmal mehr die Namensliste der Teilnehmer auffindbar ist. Im Laufe des Verfahrens stellte sich heraus, dass jene öffentliche Anhörung das ursprüngliche Bauvorhaben thematisierte, von dem spätere Pläne deutlich abwichen. Die Moskauer Stadtregierung genehmigte zuerst 0,7 Hektar Fläche, beließ es dann jedoch bei 0,2 Hektar, gänzlich ohne sich an das gesetzlich zur Befragung der Öffentlichkeit vorgeschriebene Prozedere zu halten. Die Bürgerinitiative für den Erhalt des Parks »Torfjanka« fordert nun die Staatsanwaltschaft auf, dieses Vorgehen zu prüfen.

Die konstante Weigerung der Anwohner, sich Staat und Kirche zu beugen, blieb nicht ungehört. Der Präfekt im zuständigen Stadtteil hat bereits angekündigt, nach einem neuen Bauplatz zu suchen, und selbst der russische Patriarch Kyrill schaltete sich zwischenzeitlich ein, um die Gemüter zu beruhigen. Auch das Moskauer Patriarchat will seine Zustimmung zu einem alternativen Standort nicht mehr gänzlich ausschließen, denn zu viel Negativberichterstattung schadet dem Image der Kirche. Soweit die Theorie. Die Kirchenbaubefürworter vor Ort agieren allerdings weiter wie zuvor. »Die Bewegung ›Vierzig mal Vierzig‹ verhält sich völlig unangemessen«, klagt Gontscharenko und verweist auf deren jüngsten gewalttätigen Übergriff auf eine lokale Stadtteilabgeordnete, die sich mit der Anwohnerinitiative solidarisiert.

Trotz der Kompromissbereitschaft von Stadt und Kirche beharren die orthodoxen Radikalen darauf, dass auf der ursprünglich vorgesehenen Fläche bald ein Gotteshaus entsteht. Sie kündigten an, die Sache selber in die Hand nehmen zu wollen. In der Nacht auf den 19. Juli rückten orthodoxe Aktivisten mit Metallrahmen an, zahlreiche Anwohner waren sofort zur Stelle. Sie waren ohnehin alarmiert durch Aufrufe der Orthodoxen, den religiösen Feiertag des Apfel-Spas, der den Apfel als Symbol der Erlösung zum Mittelpunkt hat, an diesem Tag im Park mit großem Aufgebot zu begehen. Im Anschluss sollte ein provisorischer Holzbau entstehen. Dieses Mal lief alles glimpflich ab. Die Veranstalter mussten allerdings eine Strafe von umgerechnet 140 Euro wegen nicht genehmigten Betens im Park entrichten. Der Bauzaun steht immer noch. Als Begründung muss dafür herhalten, dass andernfalls das große Holzkreuz auf dem Gelände geschändet werden könnte.

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