Allein unter Müllmännern

Michaela Fuhrmann leert bei der Hamburger Stadtreinigung Abfalltonen - als erste Frau

  • Almut Kipp, Hamburg
  • Lesedauer: 4 Min.
Männerdomäne Müllabfuhr. Bei der Stadtreinigung in Hamburg ist die Bastion ins Wanken geraten. Die grauen Tonnen werden nun auch von Frauen bewegt.

Die Handgriffe sitzen: Rausholen, ranfahren, rankippen. Wie Hausmülltonnen zu handhaben sind, ist Michaela Fuhrmann schon in Fleisch und Blut übergegangen. Seit 13. April ist die 36-Jährige bei der Hamburger Stadtreinigung, bei der grauen Tonne, als damals erste Frau. Sie war zunächst Praktikantin, im August kam die Festanstellung. Für die einstige Ein-Euro-Jobberin ist das wie für andere ein Lottogewinn - und für die Stadtreinigung ein Schritt zu mehr Gleichstellung in einer bis dato Männerdomäne.

Seitdem seit Jahresbeginn in Hamburg das novellierte Gleichstellungsgesetz in Kraft ist, gilt für öffentliche Unternehmen wie den Reinigungskonzern: »Diese sind - wie auch die hamburgische Verwaltung - dazu aufgefordert, dem jeweils unterrepräsentierten Geschlecht bessere Chancen zu ermöglichen«, erläutert das Personalamt der Stadt. Wo ein Geschlecht unterrepräsentiert sei, muss es bei gleicher Qualifikation bei einer Einstellung oder Neubesetzung bevorzugt werden. »Unterrepräsentanz« liegt laut Paragraf 3 des Gesetzes bei unter 40 Prozent. Soweit die Theorie.

In der Praxis sah sich die Hamburger Stadtreinigung gefordert. Bei ihr arbeiten 2700 Menschen, doch bei der Müllabfuhr nur Männer, 900 an der Zahl. Es kamen das Projekt »Frauen zur Müllabfuhr« und Michaela Fuhrmann. Seit sieben Jahren arbeitete die gebürtige Hamburgerin schon bei der Konzerntochter Stilbruch, dem Gebrauchtwarenkaufhaus, als sie von der Option hörte. »Ich hab’ Lkws abgeladen, Couchgarnituren und Waschmaschinen raustransportiert - von daher war ich es gewohnt, mit anzufassen«, berichtet Fuhrmann. Als Ein-Euro-Kraft hatte sie hier angefangen, dann Lohn nach Haustarifvertrag erhalten.

Eigentlich wollte sie nur Reinschnuppern bei den Müllwerkern. »Mein großer Traum: Einmal möcht’ ich trittbrettfahren.« Er ging in Erfüllung. »Die ersten vier Wochen wollt’ ich gar nicht wieder runter«, erzählt sie freudestrahlend. Schon der Opa war Müllmann, der Onkel ist ihr Kollege. Mit Kolonne 22 war die dreifache Mutter - mit Kindern im Alter von 4, 14 und 17 Jahren - im Bezirk Mitte unterwegs. Heute wird sie auch bei anderen Trupps als Springer eingesetzt.

Mit ihrer Stamm-Crew füllt sie auch an diesem sonnigen Septembermorgen den »Kipper« in der Möllner Landstraße (Billstedt). Der routinierte Blick in die 60-Liter-Tonne: »Leer«. Die nächste geht mit. »Die war leicht.« Unter dem orange-farbenen Arbeitsanzug lugen noch die T-Shirt-Ärmel - ebenfalls orange - hervor. »Regen, weiß ich jetzt schon, ist anstrengend. Aber auch das vergeht« wie der Anblick von Maden auf dem Tonnenrand oder der Muskelkater in den ersten Tagen. »Ich bin nach Hause gekommen, die Arme hingen auf dem Fußboden.« Respekt hat die resolute Frau noch vorm Winter.

»Wir nehmen Ela, die schafft das!« Für Kolonnen-Chef Björn Stutzbecher hat sich seine Einschätzung bestätigt. »Robust sein, ein bisschen was aushalten, keine Angst vor Regen und Kälte«, fasst er die Anforderungen zusammen. »Ela kann etlichen Männern das Wasser reichen.« Und sie konstatiert: »Bestimmt waren welche dabei, die gedacht haben: Oh Gott, ’ne Frau. Aber jetzt kommen sie damit zurecht; ich hab ja auch gezeigt, dass ich es kann.« Bei den zwei weiteren Kollegen im Müllwagen geht der Daumen hoch. »Wir flachsen ja auch viel rum mit den Kollegen.« Herbere Sprüche scheint sie kontern zu können.

Gemeinsam rollen der schlanke Vorarbeiter und die kräftigere Newcomerin die 770-Liter-Tonne zum Müllwagen. 800 bis 1000 Behälter werden pro Schicht bewegt, sagt Stutzbecher. Sieben bis zwölf Kilometer dürfte sie täglich zurücklegen, meint Fuhrmann. Beide schätzen die familienfreundlichen Arbeitszeiten, ab 14 Uhr ist Zeit für die Kinder. »Der Arbeitsrhythmus war ’ne Umstellung: Viertel vor 4. Uhr aufstehen, Kaffeetrinken, erst mal überhaupt die Augen aufkriegen«, erzählt Fuhrmann.

Doch schnell sei für sie klar gewesen: »Ich will auf jeden Fall hier bleiben, weil es mir Spaß macht.« Rund 2000 Euro brutto verdient sie monatlich. »Für mich ist das ein Job wie jeder andere auch. Nur dieser Rummel ist total ungewohnt«, sagt Fuhrmann.

Denn bereits im Praktikum präsentierte die Pressestelle ihre Entsorgerin den Medien. »Heldin der Gleichstellung«, schrieb »Zeit Online«, »Handschuhe statt Nagellack« bekam sie beim Boulevard (»Mopo«) zu lesen. Die Medienkampagne hat gezündet. Seit Anfang September hat Fuhrmann eine Kollegin. Weitere Bewerbungen von Frauen liegen vor, teilt die Pressestelle mit. »Wenn Frauen sich das zutrauen, ist doch gut«, meint Fuhrmann. »In Pflegeberufen bewegen Frauen ja auch täglich große Lasten«, ergänzt der Unternehmenssprecher.

Im Geschäftsbericht 2014 hat die Stadtreinigung einige ihrer weiblichen Angestellten im Konzern in Wort und Bild vorgestellt - unter anderen die Biologin, die Controllerin, die Kfz-Mechanikerin, die Gehweg-Reinigerin. »Welche Unternehmen im Hinblick auf die Umsetzung des Gesetzes besonders erfolgreich sind, kann zum derzeitigen Zeitpunkt noch nicht gesagt werden«, teilte die Gleichstellungsbehörde mit. »Der Senat hat sich gegenüber der Bürgerschaft verpflichtet, bis Juli 2017 über die Umsetzung des Gesetzes ausführlich zu berichten.« dpa/nd

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