Fluchtursachen ignoriert

Generaldebatte: LINKE sieht Widersprüche in deutscher Asylpolitik

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 4 Min.
In der Generaldebatte des Bundestags hat die Linksfraktion auf Ursachen hingewiesen, warum Menschen aus ihrer Heimat flüchten. Deutschland hat dabei oft eine unrühmliche Rolle gespielt.

Noch vor wenigen Wochen waren es vor allem Antifaaktivisten, die mit Aufdrucken auf ihrer Kleidung zeigten, dass sie Flüchtlinge in der Bundesrepublik willkommen heißen. Doch die Stimmung im Land hat sich teilweise gewandelt. Zwar brennen immer wieder Flüchtlingsunterkünfte, aber es gibt auch viele Bürger, die Solidarität mit den Schutzsuchenden zeigen, die an deutschen Bahnhöfen ankommen. Da wollen selbst einige Prominente und Medien nicht abseits stehen, die bislang nicht als Verbündete von Asylbewerbern galten. Dazu zählt Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel, der am Mittwoch während der Bundestags-Generaldebatte zum Haushalt einen Button mit dem Aufruf »Refugees welcome: Wir helfen« an seinem Jackett trug. Darauf war zudem ein kleines Symbol der »Bild«-Zeitung zu sehen, die ansonsten gegen »kriminelle Ausländer« hetzt. Gabriel hatte zu Jahresbeginn über die rassistische Pegida-Bewegung gesagt, dass diese ganz offensichtlich zu Deutschland gehöre.

Inzwischen sind der SPD-Vorsitzende und weitere Mitglieder der Bundesregierung aber bemüht, sich weltoffen und hilfsbereit zu präsentieren. »Wir müssen anpacken und den Menschen helfen«, kündigte Kanzlerin Angela Merkel im Plenum an. Die CDU-Chefin geht davon aus, dass viele Schutzsuchende langfristig in Deutschland bleiben werden. »Wir dürfen nicht die Fehler wiederholen, die wir mit den Gastarbeitern in den 1960er Jahren gemacht haben«, erklärte Merkel. Flüchtlinge müssten schnell integriert werden. Dies gilt vorerst allerdings nur für Menschen, die hierzulande gute Chancen auf einen Job haben. Einen leichteren Zugang zum Arbeitsmarkt hat die Große Koalition lediglich benötigten Akademikern, Fachkräften sowie Arbeitsuchenden zugestanden, die seit 15 Monaten ununterbrochen erlaubt, geduldet oder mit einer Aufenthaltsgestattung in Deutschland sind.

Besonders hart geht die Bundesregierung hingegen gegen Flüchtlinge aus Staaten des Westbalkans vor. Diese sollen möglichst schnell wieder abgeschoben werden. Darunter sind auch Angehörige der Roma-Minderheit, die in ihren Heimatländern einer existenzbedrohenden Diskriminierung ausgesetzt sind. Trotzdem will die Große Koalition nach Serbien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien bald auch Kosovo, Albanien und Montenegro zu »sicheren Herkunftsstaaten« erklären. SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann bezeichnete diese Maßnahme als »fair«. »Man muss den Menschen sagen, dass sie hierzulande keine Chance auf Asyl haben, damit sie nicht ihr Erspartes für Schlepper ausgeben«, sagte der Sozialdemokrat.

Die Grünen, die einst mit ihrer Zustimmung zum NATO-Krieg gegen Jugoslawien zur Destabilisierung der Region beigetragen hatten, lassen bislang offen, ob sie die weitere Asylrechtsverschärfung im Bundesrat absegnen werden. Katrin Göring-Eckardt vermied in dieser Frage deutliche Kritik an der Bundesregierung. Stattdessen lobte sie vor allem den Umgang vieler Bürger mit Flüchtlingen. »Wir sind plötzlich Weltmeister der Hilfsbereitschaft und Menschenliebe«, jubelte Göring-Eckardt überschwänglich. Die Bundesrepublik erlebe ein »Septembermärchen«. »Ich kann zum ersten Mal sagen, dass ich uneingeschränkt stolz auf mein Land bin«, verkündete die Grüne. Zwar gebe es auch Nazis, die Unterkünfte anzündeten, aber diese seien in der Minderheit. Göring-Eckardts Aussagen könnten noch zu internen Debatten führen. Denn einige Politiker der Grünen sehen nationalistische Tendenzen kritisch.

Die Linksfraktion kritisierte, dass sich die Bundesregierung in Widersprüche verstrickt habe. »Sie erzählen uns regelmäßig, dass die Bundeswehr in Kosovo bleiben muss, weil es dort so unsicher ist. Und nun wollen sie das Land zu einem sicheren Herkunftsstaat machen«, monierte der Vorsitzende Gregor Gysi. Die geplante Umstellung von Geld- auf Sachleistungen für Asylbewerber sei zudem verfassungswidrig. Mit Blick auf die Fluchtursachen forderte Gysi die Bundesregierung auf, keine Waffen mehr an Diktaturen und in Kriegsgebiete zu liefern. Bislang verdiene Deutschland als einer der größten Waffenexporteure an jedem Krieg.

Doch kritische Stimmen wollten die Vertreter der Regierungsparteien nicht hören. Während seiner Rede lehnte der Fraktionsvorsitzende der Union, Volker Kauder, eine Zwischenfrage der LINKE-Abgeordneten Heike Hänsel ab. Als Kauder seinen Beitrag beendet hatte, verlangte Hänsel in einer Kurzintervention eine Stellungnahme zu den Spenden von Heckler & Koch an die CDU. Produkte des Rüstungskonzerns mit Sitz im baden-württembergischen Wahlkreis von Kauder waren auch in Krisengebiete gelangt. Hänsel fragte: »Wollen Sie so weitermachen wie bisher?« Kauder sagte darauf kryptisch: »Sie haben nicht verstanden, worum es geht. Bei Ihnen ist die große Herausforderung nicht angekommen.«

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