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Wie kommen Weißhelme ins Weißbuch rein?

Entwicklungshilfe als Friedenspolitik - ein Kolloquium unter dem Dach der Bundeswehr

  • René Heilig
  • Lesedauer: 3 Min.
Bisher sind unter Federführung des Verteidigungsministeriums zehn Weißbücher zur Sicherheitspolitik erschienen. Ministerin von der Leyen betont bei der geplanten Neufassung das Ressortübergreifende.

Ein Obergefreiter der Reserve will am neuen Weißbuch zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr mitschreiben. Er heißt Gerd Müller, ist CSU-Mitglied und Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Am Dienstagabend hat er sich bei einem Kolloquium im Verteidigungsministerium zu Wort - an dem neben Vertretern beider Häuser auch Abgesandte von staatlichen wie Nichtregierungsorganisationen beteiligt waren - gemeldet. Mit Sätzen, von denen man manche im zu erarbeitenden Grundlagendokument lesen möchte. Einer lautet: »Gute Entwicklungspolitik ist Friedenspolitik.«

Müller ist kein Fantast, er weiß, dass sich allein durch dieses Postulat Kriege weder verhindern noch stoppen lassen. Doch der CSU-Mann zielte damit mehr auf Vorsorge, auf die Vermeidung von Fehlern, die der Westen in Syrien, in Irak und auch in Afghanistan gemacht hat. Wenn jetzt 800 000 Flüchtlinge Rettung in Deutschland suchten, dann auch, weil man vor fünf Jahren Libyen bombardierte, ohne einen Plan zur Entwaffnung der Milizen und zur Stabilisierung Landes zu haben. »Wer militärisch interveniert, der muss auch zivile Verantwortung übernehmen, Bomben reinwerfen genügt nicht!«

Müller fragte weiter: »Was nutzen Panzer gegen Pandemien?« Die Gastgeberin mit Medizindoktortitel, Ursula von der Leyen (CDU), bestätigte, Ebola habe diese Frage in neuer Weise aufgeworfen und verwies vor allem auf die rasante Geschwindigkeit, mit der sich Krisen - gleich welcher Art - entwickeln und über Regionen verbreiten können. Auch in ihrem Hause habe niemand die Illusion, dass Militär solche Entwicklungen allein beherrschen kann. Ebola habe aber - wenngleich spät - gezeigt, wie effektiv Militär und Zivilgesellschaft zusammenarbeiten können. Auch die Mittelmeer-Rettungsaktionen und die Herausforderung durch den Zustrom von Flüchtlingen in Deutschland zeigten, wie notwendig eine eingespielte Kooperation sei. Die Bundeswehr habe in den letzten Tagen Unterbringungsmöglichkeiten für zehntausend Flüchtlinge geschaffen, man stelle Busse bereit und habe zehn Arztteams abgestellt.

So wie Müller warb von der Leyen dafür, aus Fehlern zu lernen, »um Sicherheit und Entwicklung vernetzt zu gestalten«. Sie räumte ein, dass Militärs und zivile Entwicklungshelfer oft einen »unterschiedlichen Blick, sogar eine unterschiedliche Sprache« haben. So wie Müller betonte von der Leyen die Notwendigkeit von Prävention. Was wäre, wenn Jordanien instabil wird? Oder Tunesien? Solche Szenarien, die die versammelten Militärs wie Entwicklungshelfer gleichermaßen beunruhigten, nutzte die Ministerin, um das militärische Eingreifen der EU in Mali zu begründen.

Das Kolloquium warf strittige Fragen auf, die nicht nur Antworten »von oben« erfordern. Auch die These, dass man nur militärisch eingreifen dürfe, »wenn es nötig ist«, bleibt viel zu unscharf, um so ins Weißbuch geschrieben zu werden. Offenkundig gibt es auch, was die globale Konfliktvorsorge betrifft, zwischen Müller und von der Leyen unterschiedliche Blickweiten. Müllers Vorstellungen zur Konfliktverhütung zielen auf »Abbau von Not«, er meint, »eine Welt ohne Hunger ist möglich«. Doch dazu müssten »die Unterschiede zwischen Armen und Reichen abgebaut werden«. Es sei nicht hinnehmbar, dass zehn Prozent der Weltbevölkerung so viel besitzen wie der Rest der Menschheit. Am Beispiel Nigeria schilderte der Minister die Ausbeutung durch multinationale Konzerne und vergaß nicht zu erwähnen, dass »wir in Europa davon profitieren«.

Dann lud Müller seine Kabinettskollegin ein, gemeinsam »seine Truppen« zu besuchen. Dabei könnte man sich ja über »neue Strukturen von zivilen, humanitären Eingreiftruppen« austauschen. So ein rasch verfügbarer Pool von Ärzten, Technikern und anderen Experten, könnte gemeinsam von Bundeswehr, Technischem Hilfswerk und verschiedenen Hilfsorganisationen gebildet werden. Obergefreiter Gerd Müller nennt diese Helfer »Weißhelme« und würde gewiss nicht opponieren, wenn die im Weißbuch von der Leyens zur deutschen Sicherheitspolitik einen gebührenden Platz einnehmen.

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