Auf den Spuren der Sowjetarmee

Zwei italienische Fotografen halten die Hinterlassenschaften der Rotarmisten fest

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 4 Min.

In seinen fast fünf Metern Länge liegt er vor Maschendraht und umgrünt von wuchernder Natur: der eherne Sowjetsoldat, mit der einen Hand fest die Fahne haltend, die andere entschlossen zur Faust geballt. Ein gestürzter Siegesengel, niedergestreckt von der Zeit und den nächsten Siegern, ursprünglich jedoch gedacht als Teil eines Kriegsdenkmals. Festgehalten haben dies beredt stille Motiv die italienischen Fotografen Stefano Corso und Dario-Jacopo Laganà. Frei von ideologischem Gebundensein sind sie zwei Jahre durch die neuen Bundesländer gereist, haben auf der 8000 Kilometer langen Strecke 24 markante Orte aufgesucht, an denen die Rote Armee ihre Garnisonen hatte.

Fast ein halbes Jahrhundert war die sowjetische Armee in der DDR stationiert, zum äußeren und bisweilen auch inneren Schutz der kleineren deutschen Republik. Als bis 1994 die halbe Million Militärs in die ehemalige Sowjetunion zurückbeordert worden war, einen in Auflösung befindlichen Verbund, blieben jene häufig riesigen Territorien zurück, auf denen Soldaten und ranghohe Militärs beschirmt mit ihren Familien gelebt hatten. Manche konnten verkauft und/oder umgewidmet werden, andere fielen dem Vandalismus zum Opfer, weitere »nur« dem Zahn des Zerfalls. Alle zeugen sie von einer verwehenden Ära.

Dass nun eine fotografische Zwischenbilanz zum Erhaltungsstand jener geschichtlichen Objekte vorliegt, ist Corso und Laganà zu danken. Über den Bildband hinaus haben sie einen Teil ihrer Fotodokumente zu einer Wanderausstellung gruppiert, die schon in Rostocks Kröpeliner Tor, in einem Hallenser Gefängnis und am Grenzpunkt Marienborn gezeigt wurde und noch in Hellerau, Rom und Prora zu sehen sein wird. Derzeit sind die eindrucksvollen Fotos im Projektraum Meinblau zu besichtigen.

»We will forget soon« heißt, ebenso wie der begleitende Bildband, heißt die 30 Motive zählende Zusammenschau, die Orte vom Hafen in Mukran auf Rügen bis zum Wachturm von Schneekopf nahe der einstigen Westgrenze umfasst. Was sie vor allem nachweist, ist der allmähliche Übergang der Monumente in den Zustand des Vergessenseins. Insofern leisten Ausstellung und Buch wichtige Zeugenschaft einer historischen Epoche.

Gut hat es zumindest ein Teil der Beelitzer Heilstätten, der jetzt als Rehaklinik für neurophysiologische Störungen genutzt wird: weiß die Wände, edel restauriert die Bogenarchitektur in den Gängen. Auf einer ehemaligen Liegeterrasse für Tbc-Kranke bläht der Wind nun Plastikbahnen einer temporären Ausstellung. Schlechter ergeht es dem Standort Wünsdorf, mit seinen 35 000 Bewohnern einer der größten Militärstützpunkte, Sitz auch des Oberkommandos der sowjetischen Streitkräfte. Ein Objekt, zu groß, um es geschlossen zu veräußern. Geblieben sind Bunker, Krankenhaus und der Kultursaal. Und im Hof ein Lenin-Denkmal, das dem Bildersturm der Nachwende entgangen ist.

Im Themenpark »Tropical Island« südlich von Berlin, der sonnenbeschienen unterm Hangar eines Luftschiffherstellers die Vergangenheit wegstrahlt, fällt der Blick durch Betonstreben vom Flughafen der Nazi-Luftwaffe, den die Sowjetarmee weiterbetrieb. Im Luftfahrtmuseum Finowfurt erglänzt ein bunt bemalter Flieger vor weißblauen Wolken wie ein friedliches Kunstwerk. Und den Militärflugplatz Lärz an der Müritz nutzt seit 1997 ein Verein für das Fusion Festival, das hier gestapelt zerbeulte Karossen vor einer Wand greller Graffiti präsentiert. Die Hausüberreste einer sowjetischen Garnison wurden zu einem jetzt begrünten Hügel aufgeschüttet. Und in Torgau sind Ex-Truppenunterkünfte in Backsteinbauweise mit spitzen Ziergiebeln zu schicken Appartements mit Balkonen umgewandelt worden.

Das jedoch scheint die Ausnahme. Was die Ausstellung in der Überzahl dokumentiert, ist pittoresker Zerfall in Fotos der berührenden Momente. Ein wanddeckendes Fresko etwa zum Ruhm wehrhafter Sowjetsoldaten vor den Attributen friedvollen Aufbaus zeigt ein zerbröckelndes Gesicht. In ein fast völlig zerstörtes Gebäude hinein rankt Natur über allen Schutt hinweg und wird ihn bald ummantelt haben. Putzbestreut steht in einer gekachelten Zimmerecke ein Polsterstuhl mit niedergetretenen Hausschuhen davor. Tapete hängt wie Hautfetzen von einer Wand unter zerborstener Zimmerdecke. Ganz besonders anwehend eine Strichzeichnung in Gelb: an der Hand des Vaters ein kleines Mädchen, das stolz in kyrillischen Buchstaben »Jareschko PAPA« nebengesetzt hat.

Bis 20.9., Do-So 14-19 Uhr, Projektraum Meinblau, Prenzlauer Berg, www.wewillforgetsoon.com

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