Geraubt, gesprengt, zerstört

Gegen die Kulturvernichtung der IS-Terroristen steht Syriens Antikenbehörde auf verlorenem Posten

  • Karin Leukefeld, Damaskus
  • Lesedauer: 7 Min.

»Sie sind herzlich willkommen bei uns hier in Syrien. Als Presse möchten Sie sicherlich den Deutschen vermitteln, was hier in Syrien geschieht, vor allem mit den Kulturgütern.« Jamil Massouh freut sich über die Begegnung auf der alten Kreuzritterburg Qalat al-Hosn, die sich hoch über der schmalen Straße erhebt, die ins Tal der Christen führt, das Wadi Nasara. Es war November 2014, als wir uns zufällig auf der Burg trafen.

Die alte Kreuzritterburg thront auf einer ehemaligen Befestigung des Emirs von Homs, der zentralen und größten Provinz Syriens. Anfang des 12. Jahrhunderts war die Befestigung von den Kreuzrittern erobert worden und ging etwa 50 Jahre später in den Besitz des Johanniterordens über. In den folgenden 100 Jahren, bis 1250 wurde die Anlage zu einer imposanten Festung ausgebaut.

Die Landschaft um den Krak des Chevaliers gehört zu den fruchtbarsten Ebenen Syriens und hat reiche Wasservorräte, was für die Bewohner der Burg lebensnotwendig war. Bis zu 2000 Männer und Pferde konnten dort untergebracht und auch während einer Belagerung versorgt werden. Der Krak des Chevaliers, arabisch Qalat al-Hosn, gehörte zu einem Netzwerk mächtiger Burgen, die den Kreuzrittern zwischen der syrischen Mittelmeerküste und dem Orontestal als Stützpunkte dienten und lange Zeit für uneinnehmbar galten. Seit 2006 steht die Festung auf der Liste des Weltkulturerbes.

Mit seinen Kollegen und Kolleginnen stand Massouh an diesem windigen Novembertag vor dem kleinen Büro, das die Antikenbehörde auf der Festung eingerichtet hatte. Verstört und ratlos blickten sie auf die verwüsteten Räume. »Sie sehen, hier wurde Feuer gelegt. Wir hatten Arbeitstische, Computer, alles, was man so braucht - jetzt ist hier nur noch Gerümpel.« Verantwortlich für die Verwüstung waren bewaffnete Männer, die sich Anfang 2012 auf der Burg verschanzt hatten.

Die Armee hatte lange versucht, durch Vermittler und Gespräche die Kämpfer zum Abzug zu bewegen. Als diese Versuche wiederholt scheiterten, beschloss die Armee fast zwei Jahre später, militärisch zu handeln. Der unter der Festung liegende Ort Hosn wurde bei den Kämpfen weitgehend zerstört, die Bewohner waren schon lange geflohen. Von oberhalb der Burg nahm die Armee die Kämpfer auf der Burg in einen Zangengriff. Einige flohen, andere wurden getötet, wieder andere wurden gefangengenommen.

Im März 2014 gab die Armee die Befreiung der Burg bekannt, die jedoch etliche Blessuren davon getragen hatte. Wochenlang wurden die Schäden dokumentiert, wurde aufgeräumt und repariert. Einzelne Bögen, die vom Einsturz bedroht waren, wurden abgestützt. Im August 2015 wurde die Burg erstmals wieder für Besucher geöffnet.

Westliche Medien machten die syrische Armee für die Zerstörungen verantwortlich, doch wären die Kämpfer nicht dort eingedrungen, hätte die Armee niemals eingegriffen, meinte Jamil Massouh. »Warum bezeichnen Ihre Medien diese Kämpfer als Rebellen?«, fragte er verständnislos. »Es sind Terroristen, keine Freiheitskämpfer.«

Von 1981 bis 1992 hatte Massouh Klassische Archäologie, Kunstgeschichte und Islamwissenschaften in Bonn studiert. Nach seiner Rückkehr arbeitete er bei internationalen Ausgrabungen im ganzen Land. Besonders am Herz lag ihm Doura Europos im Osten Syriens. Heute ist Doura Europos in der Hand des Islamischen Staats.

Seit 1998 hatte Massouh die fortlaufende Dokumentation auf dem Krak des Chevaliers begleitet. Doch nach allem, was in Syrien geschehen sei, fühle er sich »mehr als sehr schlecht«. Nicht nur für ihn, für alle, die das syrische Kulturerbe liebten, »für alle Archäologen, die in Syrien gearbeitet haben, egal wo sie sind in der Welt«, sei das alles sehr schmerzlich.

Die Erfahrung, das syrische Weltkulturerbe nicht schützen zu können, hat bei den Archäologen Syriens eine tiefe Verunsicherung hinterlassen. Salz in diese Wunde ist die Tatsache, dass der Westen, der seit mehr als 100 Jahren mit Archäologen diesseits und jenseits des Euphrats Grabungen durchgeführt hatte, Syrien in diesen Stunden der Not nicht zu Hilfe kommt.

»Wir bekommen viel Zuspruch, manche starten eigene Kampagnen, um auf die Gefahr hinzuweisen«, sagt Maamoun Abdulkerim, der Direktor der Antikenbehörde in Damaskus. »Von manchen erhalten wir wissenschaftliche Hinweise, die UN-Organisation für Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO) stellt Beziehungen zwischen uns und anderen wichtigen Leuten her, die wir in Beirut treffen können. Aber in Syrien, vor Ort gibt es nichts und niemanden. Wir sind allein auf uns gestellt.«

Die 2500 Angestellten der Antikenbehörde haben seit 2011 in aller Stille eine hervorragende Arbeit geleistet. Mehr als 40 haben ihren Einsatz mit dem Leben bezahlt. Es sei gelungen, die Ausstellungsstücke aus fast allen 300 Museen des Landes abzutransportieren und in Sicherheit zu bringen, sagt Abdulkerim. Die Plünderung des irakischen Nationalmuseums in Bagdad (2003) sei ihnen eine Warnung gewesen. Abdulkerim hat als Professor der Archäologie an der Universität in Damaskus gelehrt, bis er Anfang 2012 gebeten worden war, als Leiter der Antikenbehörde einen Notfallplan zum Schutz der syrischen Kunstschätze zu entwickeln. Doch »die Grenzen in unser Land sind für alle offen. Jordanien, Türkei, Libanon und Israel, über alle diese Grenzen findet illegaler Kunsthandel statt, Kunstraub! Es gibt sehr viele Angriffe auf unsere historischen Stätten. Es ist höchste Zeit, etwas zu unternehmen.«

Der UN-Sicherheitsrat hatte im Februar die Resolution 2199 verabschiedet, die jedes Vergehen an irakischem oder syrischem Kulturerbe verurteilt. Einstimmig wurden alle UN-Mitgliedsstaaten aufgefordert, alles zu tun um zu verhindern, dass die »terroristischen Gruppen in Irak und Syrien« mit illegalem Ölexport, Handel mit Antiquitäten oder Geiseln Profit machen könnten. Die nach Kapitel VII der UN-Charta verbindliche Resolution nennt ausdrücklich den Handel mit dem »Islamischen Staat« (IS), der Nusra-Front und anderen Gruppen, die als zu Al Qaida gehörig gelten. Sollten die Länder diese Resolution nicht umsetzen, drohten ihnen Sanktionen.

Die UN-Mitgliedsstaaten werden weiter aufgefordert, sich mit Interpol und der UNESCO in Verbindung zu setzen, um Kunstraub aus Syrien und Irak aufzudecken. Das einzige Land, das diesbezüglich mit Syrien kooperiert, ist derzeit das Nachbarland Libanon. Seit Beginn des Jahres 2015 wurde dort eine nicht bekanntgegebene Zahl an gestohlenen Artefakten beschlagnahmt und an Syrien zurückgegeben. Darunter Münzen, Rollsiegel, kleine und größere Statuen bis hin zu verzierten Kapitellen von Säulen.

Die Antikenbehörde in Damaskus hat eine ausführliche Dokumentation über die Zerstörung der syrischen Kulturgüter erstellt, die alle drei Monate auf den neuesten Stand gebracht wird. Die erschütternde Arbeit dokumentiert Kämpfe um und Plünderungen von Museen. Ein weiteres Kapitel widmet sich illegalen Ausgrabungen und Zerstörungen an Ausgrabungsstätten in Aleppo, Idlib, Hasake, Deir Ezzor, Rakka, Hama, Homs, Deraa und im Umland von Damaskus. Auch aus Sweida, Qunaitra und von der Küstenregion sind Verwüstungen zu berichten.

Vier Arten der Verwüstung nennt Abdulkerim: die Sprengung von Statuen, Gebäuden oder Tempeln wie in Palmyra; illegale Ausgrabungen; Abtransport von Steinen, die zum Bau neuer Gebäude benutzt würden. Ein weiteres Problem sei die illegale Ansiedlung auf Antikenstätten, die die Struktur des Geländes nachhaltig zerstören. In der Anlage um das Amphitheater von Bosra al-Sham in der südsyrischen Provinz Deraa seien beispielsweise neue Häuser errichtet worden, Strom- und Wasserleitungen wurden verlegt.

Besonders schockiert zeigt sich Abdulkerim sich über das, was in Palmyra passiert ist, seit die IS-Kämpfer Ende Mai dort einmarschiert seien. »Was in Palmyra geschieht, ist grauenhaft«, sagt er im Gespräch in Damaskus. Erst hätten sie die Hinrichtung von 25 syrischen Soldaten im Theater von Palmyra inszeniert. »Danach haben sie die große Statue der vorislamischen Gottheit Allat zerstört. Sie stand im Museumsgarten und wog ungefähr 15 Tonnen. Aus dem Nationalen Museum haben sie ein Gefängnis gemacht, wo sie auch Tribunale abhalten.«

Khaled al-Asaad, international geachteter Leiter der Ausgrabungsstätte Palmyra, wurde geköpft und aufgehängt, weil er mit den IS-Vandalen nicht kooperiert hatte. Asaad wurde 82 Jahre alt, Italien senkte zu seinem Andenken landesweit die Fahnen auf Halbmast. Der Tempel Baal Shemeen wurde mit gesprengt, ebenso der Keller des Baal-Tempels, so Abdulkerim.

»Die Zukunft dieser Stadt ist düster, ich bin sehr besorgt und fürchte, dass wir noch weitere schlimme Bilder aus Palmyra sehen werden. Wir brauchen dringend einen Aktionsplan, wie wir Palmyra befreien können. Wir können es nicht akzeptieren, dass IS der Palmyra in Geiselhaft hält. Das liegt nicht allein in der Verantwortung Syriens. Wir als Generaldirektion der Antiken haben Hunderte Statuen, Büsten, Keramiken und andere Artefakte nach Damaskus gebracht, bevor die Milizen die Stadt besetzten. Aber jetzt geht es um militärisches und politisches Vorgehen, es muss gehandelt werden. Ich frage die internationale Gemeinschaft: Wie können wir Palmyra retten? Die Schlacht um Palmyra hat nichts mit Politik zu tun, das habe ich wieder und wieder gesagt. Die Schlacht um Palmyra muss unsere Kultur retten, unsere Zivilisation. Wenn wir jetzt nicht handeln, wird es zu spät sein.«

Einen Tag nach meinem Gespräch mit Maamoun Abdulkerim wurden bei Palmyra zwei römische Grabsäulen aus dem 1. Jahrhundert vorchristlicher Zeitrechnung gesprengt.

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