Problemlösungen, die Probleme auslösen

Roberto J. De Lapuente über die Unterbringung von Flüchtlingen

  • Roberto J. De Lapuente
  • Lesedauer: 4 Min.
Irgendeiner dieser »Experten«, die man nun allerorten hört, sprach sich dafür aus, dass nun mehr Bürger Flüchtlinge privat bei sich aufnehmen sollten. Das ist kein guter Vorschlag, sondern das Gegenteil dessen. Es ist eine Hinterlist, um erneut eine Anti-Asylbewerber-Stimmung zu entfachen.
Es war Anfang der Neunziger. Ich war dreizehn, vielleicht vierzehn Jahre alt und saß mit meinen Eltern vor der Glotze. Wir hatten RTL an. Dort putzte ein Reporter Klinken. Ging von Haustüre zu Haustüre und fragte nach, wer denn bereit sei, einen oder zwei Asylbewerber in seiner Privatwohnung aufzunehmen. Stein des Anstoßes war irgendeine Bemerkung eines Politikers, der im Zuge der Flüchtlingswelle jener Zeit, einen etwaigen Vorschlag diesbezüglich losgelassen hatte. Natürlich lehnten alle ab, fühlten sich von der Politik bevormundet. Sie waren sichtlich empört. Ich junger Kerl natürlich auch. Ich saß im Sessel und stellte mir vor, wie das wohl wäre, wenn uns ein Fremder unter Anordnung zugeteilt würde. Nach dem Krieg hatte es das schon mal gegeben, sagten der Reporter. Aber das war doch eine andere Situation, oder nicht? Für mich war das unvorstellbar und eine Schandtat, gegen die jeder Widerstand berechtigt wäre. Der rebellische Jugendliche malte sich seine Wehrhaftigkeit pathetisch aus. Ein solcher Vorschlag ist nun wieder aufs Tapet gebracht worden. Heute sehe ich das allerdings etwas anders.

Oh nein, ich bin nun keineswegs der Ansicht, dass die Aufnahme von Flüchtlingen in den Privatgemächern einer Tugend oder Bürgerpflicht gleichkommt. Ganz und gar nicht. Ich bin politisch links und auch deswegen ganz absolut der Meinung, dass den Flüchtlingen geholfen werden muss. Auch weil sie nicht einfach so in der Welt, sondern gleichfalls Opfer westlicher Weltpolitik sind. Wenn es einen Rest von Moral gibt, dann gibt es Verantwortung für diese Menschen. Aber aufnehmen würde ich keinen Fremden in meiner Wohnung. Mal abgesehen davon, dass ich gar nicht den Platz hätte. Und wenn ich von »Fremden« spreche, meine ich nicht etwa Asylbewerber oder Ausländer, sondern eben jemanden, den ich nicht kenne. Ich würde auch keinen Fremden mit deutschen Pass unter meinem Dach haben wollen. Nicht für länger als ein, zwei Nächte jedenfalls. Das ginge niemals gut. Aber was ich heute anders sehe ist: Solche Vorschläge sind nicht zur pragmatischen Lösung eines Problems gemacht, sondern wollen das Problem verschärfen – oder jedenfalls verhindern, dass man dafür sensibilisiert wird.

Dass man sich empört, wenn irgendeiner dieser »Experten« auftritt, um einen Eingriff in die privateste Privatsphäre zum Gegenstand eines »Lösungsvorschlages« zu machen, kann ich immer noch verstehen. Ich würde es wie gesagt auch nicht wollen und mich wehren. Aber mir fehlt heute die Naivität um zu glauben, dass solche Ansätze einfach nur lösungsorientiert hinausposaunt werden. Sie wollen Wirkung erzielen. Wollen Menschen aufbringen, sie rebellisch machen. Es ist das alte Spiel. Man erzählt den Menschen, dass ihr Wohlstand nun etwas sei, was geteilt werden muss. Aber nicht in dem Sinne, dass es jedem gut geht, sondern dergestalt, dass man ganz deutlich macht, dass einer der Verlierer sein wird, damit andere etwas hinzugewinnen können. Aber exakt dies ist, wenigstens bezogen auf die Wohnsituation, gar nicht notwendig. Wohnraum wäre da. Kasernen stehen leer. Häuserblöcke auch. Und wäre es ganz nach keynesianischer Weise nicht lobenswert, wenn man Unternehmen staatliche Aufträge zuschusterte, damit die bauen und Wohnungen schaffen? Die Flüchtlinge sind nämlich auch ein Markt für eine gute Auftragslage; sie kaufen Mobiltelefone, werden von Catering-Unternehmen abgespeist und so weiter. Aber das nur nebenher.

Es ist nicht nötig, dass Privatpersonen Flüchtlinge aufnehmen müssen. Es gäbe anderen Raum und andere Lösungen. Aber indem man solche Anregungen erteilt, macht man die Menschen wieder skeptisch und füttert die Xenophobie neu an, weil sie sich auf die Füße getreten fühlen. Völlig nachvollziehbar. Aber der Empfänger dieses Argwohns sollten nicht die Menschen sein, die zu uns kommen, sondern diejenigen, die derart blöde Vorschläge in die Welt setzen. Sie spiele mit dem Empörungspotenzial und lösen nicht das Problem, sondern sind es selbst.
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