Ein unverwechselbarer Klang

Retrospektivausstellung der Bildhauerin Emerita Pansowova in der Plastikgalerie Schlosskirche Neustrelitz

  • Klaus Hammer
  • Lesedauer: 4 Min.

Das plastische Werk der im brandenburgischen Premden lebenden Emerita Pansowova, die im kommenden Jahr 70 wird, trumpft nie auf. Ihren Figuren und Köpfen ist eine große Sensibilität eigen, der Sinn auch für Asymmetrie, die zum Lebendigen gehört, für feinste Verschiebungen der Teile. Man muss sich in ihr Werk hinein versenken. So wird sein Nuancenreichtum, über den die Form nicht verloren geht, offenbar.

Der menschliche Leib kann sich in eine Landschaft verwandeln oder sich zu einer »leiblichen Architektur« verfestigen. Den Ordnungsprinzipien der technisch geprägten Gegenwart steht bei Emerita Pansowova eine künstlerische Selbsterfahrung gegenüber, die dem heutigen Menschen Hilfsmittel zum Begreifen seiner Identität und seines Lebensraumes vor Augen zu führen sucht. In ihren Figuren walten etwas Herbes, Sprödes, ein leichter Hauch von Traurigkeit und die moderne Nervosität. Das Thema des heranwachsenden jungen Menschen, des Sinnenden, des sich auf sich selbst Besinnenden, das Thema von Mutter und Kind reicht von rührender, leiser, beinahe linkischer Anmut bis zu allergrößter Formenstrenge. Sensualistischer Reiz, aber auch ein Gefühl für die Verletzlichkeit des Menschen wohnt in den Leibern.

Die Bildhauerin sucht Formen, die aus der Geschlossenheit aufbrechen und in den Raum greifen, die Ebene durchbrechen, Formen, die zugleich den Menschen und seine Welt in sich bergen. Ihre wundervolle Ausdrucksstudie »Große Palucca« (2009, Bronze) hat in tänzerischer Bewegung die Arme weit ausgebreitet, scheint vom Boden abheben zu wollen und wird doch von der Erde noch festgehalten. Als Gret Palucca 1927 im Bauhaus Dessau auftrat, äußerte sich der Bauhaus-Lehrer Mohaly-Nagy emphatisch: »Palucca verdichtet den Raum, sie gliedert ihn, der Raum dehnt sich, sinkt und schwebt - fluktuierend in allen Richtungen«. Die Palucca-Figur mutet wie eine plastische Umsetzung dieses Satzes an. Dagegen spricht aus dem »Großen Sitzenden« (1975-85, Bronze) Nachdenklichkeit, Schmerz und Jammer zugleich. In den spröden, noch ungefügen Mädchen- und Jungenkörpern versucht die Künstlerin, gleichsam alle verbliebene, ruhige Kraft zusammenzufassen. Das »Stehende Mädchen« (2003/08, Bronze) hat - wie Halt und Mut suchend - im Rücken ihren linken Arm mit dem rechten verschränkt. Wie frierend, sich selbst schützend hat »Andreas« (1978, Bronze) die Arme um den Oberkörper geschlagen. Die »Stehende (Monika)« (1882/89, Bronze) wiederum scheint, den Kopf nach unten gerichtet, die eine Hand - wie mit sich selbst argumentierend - zum Oberkörper erhoben, die andere bekräftigend zur Faust geschlossen, über etwas nachzusinnen.

Die stille Nachdenklichkeit der »Hockenden« (1995, Bronze), die mit angewinkelten Beinen und überein-andergelegten Armen eine in sich verschränkte Körpereinheit entwickelt, verbindet sich hier mit dem Gedanken nach zeitlos entrückter archaischer Monumentalität. Das Porträt ihres Lehrers, des Bildhauers Ludwig Engelhardt (1989, Bronze) hat eine einfache, große Form. Ein Gebirge, eine Felsmelodie von menschlicher Figur. Eine suggestive Kraft liegt in ihren Porträtköpfen.

»Kassandra I« (2001, Bronze) hat den linken Arm beschwörend, bezeugend auf die rechte Schulter gelegt, während »Kassandra II« (2002, Bronze) die rechte Hand schmerzvoll vor die Augen hält. Christa Wolfs »Kassandra«-Erzählung wird hier wesentliche Anregungen gegeben haben.

Dabei macht man die Entdeckung, dass sie Bewegtheit der Körper eigentlich als eine Belebung nach innen erscheint, die sich der sanft modellierten Form mitteilt. Der Ausdruckswert des geneigten Kopfes mit dem kaum blickenden Gesicht ruft den Eindruck einer nach innen gekehrten, in sich versunkenen Gestalt hervor. Eine zunehmende Spiritualisierung des Körpers findet statt, das sparsam eingesetzte Bewegungsspiel steigert die vom Gesicht bestimmte, psychische Stimmung der Gestalt.

Nicht ob und wie oft ein Künstler sich wandelt, sondern dass er dabei er selber bleibt, darauf kommt es an. Für die späte Bildhauerin Emerita Pansowova ist der reine, zerrissene, bizarr geformte, zerfurchte Stein Ausgangspunkt ihrer Bemühungen geworden. Besonders schätzt sie Gneis, Granit, Basalt, den durch seine Feinkörnigkeit, durch seine Struktur und Farbschattierungen auf eine stille Weise ungemein lebendigen, in seiner Sanftheit und seinem Glanz dabei sehr sensiblen Stein. Skulpturen wie »Stehender Jüngling« (2015, Granit) oder »Im Werden« (2015, Gneis) sind mineralogischen und kristallinischen Formen verwandt. Mit »Frau mit Kind« (2010, Sandstein) ist sie bei der Urmutter angelangt, Gesichter und Körperformen lösen sich im Stein auf.

Plastiken und Skulpturen, plastische Existenzfiguren, durch die der Geist weht. Emerita Pansowova hat eine Synthese zwischen strömender Plastizität und figurativer Bändigung gefunden.

Plastikgalerie Schlosskirche Neustrelitz, Hertelstr. 2, Di.-So. 11-18 Uhr, bis 4. Oktober.

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