Zwei Teenager zwischen Liebe und Tod

Christian von Treskow inszenierte »Romeo und Julia« in Halle

  • Volker Trauth
  • Lesedauer: 4 Min.

Einen »Vernichtungsfeldzug gegen jugendliche Talente« nannte im Jahre 1928 Herbert Ihering Max Reinhardts Personenführung bei seiner Inszenierung von »Romeo und Julia« und warf ihm vor, besonders die beiden Hauptdarsteller zum »überspannten Temperament« und zum »falschen Ton« angehalten zu haben. Inszenierungen der letzten Jahre, zuletzt Jette Steckels Hamburger Aufführung, haben bewiesen, wie wichtig jugendliche Glaubwürdigkeit und Authentizität der Darsteller des tragischen Liebespaares sind. Sie hatte den Darstellern von Romeo und Julia zehn junge Männer und zehn junge Frauen an die Seite gegeben und ein Gesangsduo eingeführt, das auf seine Weise - parallel zur Gedanken- und Gefühlswelt der beiden Protagonisten - die Empfindungen von Liebe und Tod, von Licht und Finsternis, von Einsamkeit und Nähe besang.

Gesungen wird in Christian von Treskows Hallenser Inszenierung auch. Am Ende des ersten Teils, vor der Flucht Romeos nach Mantua, gleichsam auf dem Gipfelpunkt ihres Taumels zwischen Liebe und Tod, greifen sie zum Mikrofon, reden sich mit »my sweethart« und »my darling« an und schreien ihre Wut heraus auf eine Welt, in der sie ihre Liebe nicht leben können. Beide haben eine nie vorhersehbare Entwicklung vor den Augen des Publikums genommen, sind durch das Liebeserlebnis andere Menschen geworden.

Selten habe ich auf solch eindringliche Weise gesehen, dass hier zwei Teenager, zwei »halbe Kinder«, in die Gefährdungen einer in sich verfeindeten Welt geworfen werden. Romeo (Max Radestock) hatte die Abweisung durch Rosalinde zum Anlass genommen, kokett Trauer und Enttäuschung auszustellen, öffentlich Krokodilstränen zu vergießen und selbstverliebt zu tänzeln. Die Begegnung mit Julia (Anke Retzlaff) auf dem Ball der Capulets wird zum Erweckungserlebnis. Kein Satz, keine Geste geht danach nach außen; ein junger Mann staunt, was Liebe aus ihm machen kann. Julia haben wir zunächst als verspieltes trotziges Kind erlebt, das sich bei der Erwähnung von Paris’ Heiratsantrag das Kissen über den Kopf zieht. In der ersten Begegnung, später noch stärker in der berühmten Balkonszene und dem von den Umständen erzwungenen Abschieds, erleben wir nicht mehr das schwärmerische, weltentfernte Dahinschweben auf den Flügeln höfischer Rede, wie wir es in etlichen Aufführungen des Stadt- und Staatstheaters gesehen haben. Dafür das direkt geäußerte, ungeheuchelte auch körperliche Interesse am Anderen, das Entdecken ungeahnter eigener Gefühle.

Da wird die Meinungsverschiedenheit, ob Nachtigall oder Lerche zu hören seien, nicht zum Anlass für schwärmerische Sentenzen, sondern zur ebenso spielerischen wie praktischen Gefahrenabwägung. Was die beiden Schauspieler so unaustauschbar macht, ist ihre aus dem eigenen Zentrum kommende Gegenwärtigkeit. Da ist nichts von der Regie aufgezwungen worden, sie haben nach dem Bekenntnis des Romeo-Darstellers ihre schauspielerischen Haltungen aus Partnerspiel und Improvisationen entwickelt.

Freilich ist nicht zu übersehen, dass da manches künstlerisch noch nicht ausgeformt ist, dass es vor allem Anke Retzlaff noch an Differenzierungsvermögen fehlt , um die oft endlosen Klagereden nicht gleichförmig in Ton und Geste werden zu lassen.

Von den Darstellern der anderen jugendlichen Figuren macht Frank Schilcher als Tybalt auf sich aufmerksam. Das ist einer, der - wie es in einer früheren Übersetzung heißt - »nach der Fibel ficht«, der wie ein Hahn zum Gefecht stolziert und der im Verlauf des Kampfes vor allem auf die regelkonforme Körperhaltung und Kampftechnik achtet. Andere Darsteller jugendlicher Figuren vermögen deren Abgründe und tragischen Dimensionen nicht auszuschreiten. Matthias Walter bleibt als Mercutio vor allem der räsonierende und wild gestikulierende Raufbold - dass sich da ein zutiefst von der Welt Angeekelter in böse menschenverachtende Späße rettet, bleibt weitgehend verborgen. Hagen Ritschel als Benvolio kann die tragische Vergeblichkeit des scheiternden Friedensstifters nur in Ansätzen deutlich machen.

Im Übrigen hat die Regie Shakespeares Figurenensemble komprimiert. Es fehlen die Musikantengruppe, die zu Julias geplanter Hochzeit mit Paris aufspielen soll, der tödlich endende Zweikampf Romeos mit Paris an der Grabstätte Julias sowie deren Vater Capulet. Dagegen wurde die Absicht des Übersetzers Thomas Brasch verstärkt, das klassische Stück in eine gegenwärtige Sprache zu übertragen und seine Deftigkeit unvermindert ins Spiel zu bringen.

Da nennt die Amme Romeo einen »Lappen« und Lady Capulet ihre Tochter »eine Null«. Elke Richter spielt die und macht sie mit Wirkungskalkül und überdurchschnittlichem handwerklichem Vermögen zu einer tragenden Säule des Abends. Sie ist die große Strippenzieherin und Taktikerin, sie weist zunächst Paris als Heiratskandidaten mit dem Hinweis auf Julias Alter ab, hält sich ihn aber mit dem Blick auf dessen Reichtum als möglichen Investor in Reserve. Zur Eröffnung des Balls versäumt sie nicht die Gelegenheit, andere Damen der Gesellschaft zu verhöhnen. Paris behandelt sie auch nach Romeos Flucht als ein männliches Leichtgewicht, und ihr Zusammenbruch an Julias Grab wird zur großen »Theaterkiste«.

Insgesamt ein Abend, der vor allem wegen des glaubhaft jungen Paares in Erinnerung bleibt.

Nächste Vorstellung: 2., 4., 24. und 25. Oktober

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