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Neubau hier, Abriss dort

Das Tacheles wird zur Passage / In der Wilhelmstraße geht günstiger Wohnraum verloren

  • Bernd Kammer
  • Lesedauer: 3 Min.
Um das einstige Kunsthaus entsteht ein neues Stadtquartier. Günstige Wohnungen werden aber nicht gebaut, in der Wilhelmstraße werden es sogar weniger.

Am Tacheles könnten sich bald die Kräne drehen. Das erwartet jedenfalls Mittes Baustadtrat Carsten Spallek (CDU): »Ich habe den Eindruck, der Investor möchte möglichst schnell mit dem Bau beginnen.« Der Investor, das ist die internationale Fondsgesellschaft Perella Weinberg, die das rund 25 000 Quadratmeter große Areal im vergangenen Jahr gekauft hat. Das hatte weltweit Berühmtheit erlangt, als Künstler Anfang der 1990er Jahre die alte Kaufhaus-Ruine an der Oranienburger Straße besetzten und zu einem Touristenmagneten machten. Vor drei Jahren mussten die letzten Künstler ausziehen, der damalige Eigentümer, die Fundus-Gruppe, scheiterte mit seinen Bebauungsplänen jedoch an der Finanzierung.

Perella Weinberg verspricht, an die Vergangenheit anzuknüpfen. Das Tacheles soll denkmalgerecht saniert und wieder kulturell genutzt werden. Das verlangt auch der mehr als zehn Jahre alte Bebauungsplan. Welcher Art Kultur einziehen wird, ist noch unklar. Spallek stellt sich etwas vor, »was auch ins Quartier hineinwirkt«, etwa eine Stadtteilbibliothek. Eine ähnliche Nutzung wie bisher erwartet er nicht, es sei denn, »das ist was für das Galerie- und Atelierprogramm des Senats«. Auf der Brache rings um den Kultur-Torso soll ein neues Stadtquartier mit Büros, Läden und bis zu 450 Wohnungen entstehen. Auch die 1908 eröffnete Friedrichstraßen-Passage, deren Eingang das Tacheles war, will der Investor neu bauen. Die Wohnungen sollen sich um drei Höfe an der Johannisstraße gruppieren, zur Oranienburger Straße hin ist eine Grünfläche geplant. Der Baustadtrat schätzt die Kosten auf eine Milliarde Euro. Laut Investor könnte Ende nächsten Jahres Baustart sein.

Sozialwohnungen dürften am Tacheles eher nicht entstehen. Die Grünen scheiterten am Donnerstagabend in der Bezirksverordnetenversammlung mit dem Antrag, die Entwicklung des Areals nach dem »Berliner Modell zur kooperativen Baulandentwicklung« sicherzustellen. Damit hätte der Investor verpflichtet werden können, mindestens 25 Prozent der Wohnungen als Sozialwohnungen zu errichten. Das hätte in geltendes Baurecht eingegriffen, weil dazu der Bebauungsplan hätte geändert oder neu aufgestellt werden müssen, erklärte der Baustadtrat.

Günstige Wohnungen gibt es noch in Mitte, zum Beispiel an der Wilhelmstraße. Doch dort werden es bald rund 100 weniger sein. Spallek rechnet damit, dass der Block Wilhelmstraße 56-59 bereits im November abgerissen wird. Der Investor habe den Abriss angezeigt. Vielmehr bedarf es nicht, um das rund 25 Jahre alte Gebäude aus der Endzeit der DDR platt zu machen. Denn der Investor besitze eine »entwicklungsrechtliche Genehmigung des Senats« und somit Baurecht, sagte Spallek.

Wie berichtet, will die österreichische Eigentümerfamilie des Grundstücks anstelle des Plattenbaus ein luxuriöses »Pallais Berlin« mit 165 Wohnungen errichten. Sozialwohnungen sind natürlich nicht darunter. Die Mieter hatten sich lange gegen den Abriss gewehrt, aber auch Briefe an Angela Merkel und Joachim Gauck, die hier mal wohnten, brachten keinen Erfolg.

Immerhin versucht der Bezirk, die restlichen etwa 900 Plattenwohnungen an der Wilhelmstraße vor diesem Schicksal zu bewahren. Das Bezirksamt hat beschlossen, eine »Verordnung über die Erhaltung der städtebaulichen Eigenart« des Gebietes aufzustellen. Im Vergleich zu anderen Bauten des industriellen Wohnungsbaus sei hier »eine relativ starke Differenzierung in der Gestaltung durch besondere Details und zusätzliche Elemente erkennbar«, heißt es in der Begründung. »Die Platte ist nicht so platt«, fasst Spallek zusammen.

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