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Endlich das Richtige tun

Brandon Bryant vollstreckte per Joystick illegitime Todesurteile, jetzt offenbart er Details des Drohnenkrieges

  • Johanna Treblin
  • Lesedauer: 5 Min.
Er war Teil einer USA-Drohnenbesatzung, er tötete Menschen. 2011 stieg Brandon Bryant aus, er konnte nicht mehr. Unlängst sagte er im Bundestag aus. Denn Deutschland ist Teil des Drohnenkrieges.

Cargohose, offenes Cargohemd über dem T-Shirt, Schuhe mit tiefem Profil, schwarze Kappe auf dem kahlgeschorenen Kopf, der rechte Arm tättowiert bis zu den Fingerspitzen. Es ist leicht zu erraten: Hier sitzt ein Soldat. So fühlt er sich auch tief in seinem Herzen: ein einfacher Soldat in einfacher Kleidung.

Brandon Bryant ist 29 Jahre alt und bereits Ex-Soldat, ein Kriegsveteran. Er hat hart gearbeitet, sich an Befehle gehalten und wurde ehrenhaft und auf eigenen Wunsch aus dem Dienst entlassen. Die Entlassungsurkunde war für ihn ein Schock: Laut dem Dokument hatte seine Einheit 1626 Menschen in Irak, in Afghanistan, Pakistan, Somalia und in Jemen getötet. Er wusste zwar, was er tat. Die Zahl der Opfer, seiner Opfer, entsetzte ihn dennoch.

Morden im Auftrag des Kunden

Gemessen an den Mord-Stück-Kosten sind Drohneneinsätze wesentlich billiger als jeder Angriff bemannter Jets. Das mag verwundern, denn schon die »Lohnkosten« sind nicht gering. Brandon Bryant war nur Staff Sergeant bei der US Air Force. Trotz seiner Jugend und des geringen Ranges hat er gut verdient. Allein für den Wiedereinstieg hat ihm die Air Force 190 000 Dollar geboten – bevor er sich den Medien öffnete. Gleich ihm sind über 100 Mann beteiligt, um so einen Tötungsautomaten zu warten und zu fliegen. Eine einzige der kleineren »Predator«-Drohnen beschäftigt mehr als ein Dutzend Soldaten und zivile Techniker. Die meisten kennen einander nicht, sie können weltweit verstreut agieren.

Im Blickpunkt sind zumeist nur die beiden Leute, die im Container sitzen. Der kann im Einsatzgebiet stehen oder – was die Regel und billiger ist – auf einer Basis in den USA. Links sitzt der Pilot. Piloten sind Offiziere, die einen Pilotenschein und Flugerfahrung besitzen. Sie wechselten einfach vom Schleudersitz in den Bürosessel. Rechts im »Cockpit« arbeiten Leute wie Bryant. Als Sensoroperator steuern sie Drohnenkameras, visieren Ziele an, halten Verbindung zur Relaisstation. Dort – beispielsweise in Ramstein – sind weitere drei bis fünf Techniker vonnöten. Zumeist in den Basen auf US-Territorium arbeitet ein Joint Terminal Attack Controller (JTAC). Gebraucht werden außerdem bis zu fünf Screener.

Das sind Leute, die Bilder, die Bryant einfängt, auswerten und Personen mit Steckbriefen vergleichen. Dazu kommt mindestens ein SIGINT-Mann für die elektronische Aufklärung. Er ist vertraut mit dem Gilgamesh-System. Ein spezielles Gerät – es ist einem bodengebundenen  IMSI-Catcher vergleichbar – wird unter Drohnentragflächen aufgehängt. Es gibt sich als Funkmast aus, Handys lassen sich anlocken, loggen sich ein. Sind welche mit zuvor gesammelten und ins System eingegebenen SIM-Karten-Daten dabei, kann ihre Position bis auf einen Meter genau bestimmt werden. Shenanigan ist der Codename eines US-Systems, das Daten von WLAN-Netzen oder direkt von Rechnern sammelt. Auch die halfen Bryant, seine Kamera zu justieren, sein Laser erfasst das Ziel. Das Go! kommt vom JTAC. Doch auch er ist nur ein Besatzungsrädchen. Er hört auf den Befehl derer, die den Flug bestellt haben. Man nennt sie im Jargon nur die Kunden. Wer diese Männer (oder Frauen) sind, wo sie sind ist, zu welcher Behörde sie gehören, erfährt die Besatzung nie. hei

Fünf Jahre lang verfolgt er im Dienst der US-Armee Menschen durch die Kameralinse einer Drohne, seit 2009 aus einem Container in einer Luftwaffenbasis in New Mexico heraus. Nebenbei stopft er sich mit Fast Food voll. Mit jedem Tag glaubt er weniger daran, auf der richtigen Seite zu stehen. Aber er hat beim Eintritt in die Armee einen Eid geleistet. Und er hat die Worte seines Großvaters im Ohr: »Das einzige, was ein Mann an Wert hat, ist sein eigenes Wort.«

Er stellt Fragen zu den Einsätzen: Wer wird da verfolgt, warum, ist es richtig, Fußball spielende Jugendliche ins Visier zu nehmen? Kameraden fragen sarkastisch, ob er den Philosophen spielen wolle. Vorgesetzte sagen ihm, er solle den Mund halten und seine Arbeit machen. Doch Bryant kann nicht mehr schlafen. Jahre später sucht er nach Worten, um den Zustand zu beschreiben. »Mein Kopf fühlte sich an wie ein Zug, der außer Kontrolle geraten war.« Irgendwann spuckt er Blut und wird für mehrere Monate krank geschrieben.

Dann geht er wieder zurück in den Container und macht Dienst nach Vorschrift, bis etwas passiert, das alles für ihn verändert. Bryant und sein Kollege zielen auf ein Haus, in dem sich eine Zielperson befinden soll. Sie schießen. Im letzten Augenblick vor dem Einschlag sehen sie ein Kind, das ins Haus läuft. Die Rakete trifft. Bryant reicht seine Kündigung ein.

Der Drohnenkrieg der USA begann nach dem 11. September 2001. Der damalige Präsident George W. Bush verantwortete als erste Opfer mutmaßlich Al-Qaida-Mitglieder im Jahr 2002 in Jemen. Der auf Bush folgende Präsident Barack Obama rückte die »gezielte Tötung« durch unbemannte Flugobjekte ins Zentrum seiner Sicherheitspolitik und erlaubte schließlich sogenannte »signature strikes«, bei denen auch Personen, die nicht namentlich bekannt waren, getötet werden dürfen, wenn sie verdächtig erscheinen und sich wie Terroristen verhalten. Seine Regierung bezeichnet den Einsatz von unbemannten Drohnen als »präzise« und »schonend«. Doch die Zielperson wird häufig erst nach mehreren Angriffen getroffen. Und das Töten von Zivilisten wird billigend in Kauf genommen. Laut Bureau of Investigative Journalism sind bis heute bei Drohnenangriffen in Pakistan, in Jemen, in Somalia und Afghanistan bis zu 5600 Menschen umgekommen, davon rund 1200 Zivilisten.

Bryant hat starke Schuldgefühle, zum einen wegen seiner »Sünden gegen die Menschlichkeit«, wie er sagt, zum anderen, weil er sein Wort gebrochen und die Armee verlassen hat. Er läuft täglich zehn Meilen durch den Wald vor seinem Haus, beginnt, sich gesund zu ernähren. Wenn er an seine Vorgesetzten denkt, wird er heute noch wütend. »Ich habe immer hart für sie gearbeitet. Als ich dann ihre Hilfe brauchte, haben sie mich einfach fallen gelassen.« Er ist ohne Arbeit und ohne Unterstützung der Veteranenorganisationen.

Wenigstens jetzt will er endlich das Richtige tun. Und so fängt er eineinhalb Jahre nach seiner Kündigung an, über seine Zeit bei der Luftwaffe zu sprechen. Er sieht es als seine Verpflichtung an, Journalisten und Menschenrechtsvertretern vom dreckigen Drohnenkrieg der USA zu berichten.

Seine Familie versteht nicht, was er da tut. Sie sind tief gläubige Christen, die den Islam als natürlichen Feind sehen. Nur mit seiner Mutter hält er noch Kontakt. Aber weil er Drohungen von ehemaligen Kollegen erhält, trifft er sich nicht mit ihr. Er will sie nicht in Gefahr bringen. Einer drohte ihm über Facebook, wenn er jemals in ein Gebiet reisen sollte, über das die US-Armee Drohnen fliegen lasse, dann würde er ihn ohne nachzudenken abknallen. So lebt er allein und zurückgezogen in den Wäldern Montanas. »Nur ich und mein Hund.« Angst hat er nicht. Die Natur tut ihm gut, seit Februar dieses Jahres schläft er wieder besser. Er nutzt die Zeit, um über asiatische Heilkunst und Psychologie zu lesen. Er will anderen traumatisierten Kriegsveteranen helfen.

Menschenrechtsvertreter laden ihn auf Podien in den USA und in alle Welt ein. Mitte des Monats erhielt er in Deutschland den Whistleblowerpreis zweier renommierter Organisationen, des Vereins Deutscher Wissenschaftler VDW und der Internationalen Vereinigung von Juristen gegen Atomwaffen, IALANA. Und es gab noch einen Grund, warum er nach Deutschland reiste: Er sagte vor dem NSA-Untersuchungsausschuss im Bundestag aus. Fünf Stunden lang wurde er in die Mangel genommen. Den Abgeordneten ging es vor allem um eine Frage: Welche Rolle spielt der US-Stützpunkt Ramstein in Rheinland-Pfalz im US-Drohnenkrieg? Wie viel weiß die Bundesregierung? Bryant wiederholte, was er gegenüber Medien bereits dargelegt hat, alle Daten laufen über Ramstein: »Jedes einzelne bisschen an Dateninformation, das zwischen Flugzeug und Mannschaft übertragen wurde.« In Ramstein kann das Satellitensignal aus Afghanistan und Pakistan besser empfangen werden, die Bilder werden über Glasfaser in die USA übertragen. Dort sitzen die Piloten am Bildschirm und lenken die Drohnen in den Ländern, in denen die USA Terroristen vermuten. Bryant erzählte, dass er sich täglich telefonisch in Ramstein melden musste, um in das interne System eingeloggt zu werden. Er berichtete auch, wie Handydaten ausgewertet werden, um Zielpersonen zu identifizieren. Das hatten Journalisten bereits im vergangenen Jahr mit seiner Hilfe enthüllt. Und festgestellt, dass deutsche Behörden Handynummern an die USA weitergeben, mit denen dann möglicherweise Zielpersonen ermittelt werden. Die Bundesregierung weiß angeblich von nichts.

Es waren anstrengende fünf Stunden. Nach der Preisverleihung am Tag darauf ruhte er sich über das Wochenende aus. Als Folge des Jetlag streifte er die halbe Nacht alleine durch Berlin. »Ich war richtig erschöpft, müde. Da sind einige Emotionen hochgekommen. Aber jetzt habe ich das Gefühl, endlich am Ende angekommen zu sein. Ich habe alles gesagt, was ich wusste. Jetzt liegt es an ihnen, zu handeln. Ich bin lediglich der Bote.«

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