Bodenlose Unverschämtheiten

Willkommensinitiativen in Märkisch-Oderland streiten mit dem Landkreis über die Behandlung der Flüchtlinge

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 6 Min.
Ehrenamtliche Helfer leisten bei der Versorgung der Asylbewerber wertvolle Hilfe. Das betont Sozialdezernent Lutz Amsel (LINKE). Willkommenskreise und Landkreis ziehen aber nicht an einem Strang.

Vor dem Asylheim an der Friedrich-Engels-Straße in Neuhardenberg stoppt ein Auto. Eine Schwarzafrikanerin steigt aus und verabschiedet sich von der Dame, die am Steuer saß. Busse von und nach Seelow fahren selten und nach 17 Uhr gar nicht mehr. Darum chauffieren ehrenamtliche Flüchtlingshelfer die Heimbewohner häufig zur Ausländerbehörde oder zum Arzt. Sie gehen dann oft gleich mit hinein, übersetzen vom Englischen ins Deutsche, geben Tipps und hauen auf den Tisch, wenn sie der Ansicht sind, dass die Flüchtlinge ungerecht und unmenschlich behandelt werden. Sie sehen sich als Anwälte der Schwachen und geben sich nicht damit zufrieden, nur Fahrräder zu spenden, Deutschkurse zu erteilen und mit den Kindern zu spielen.

Das sorgt in Märkisch-Oderland für Streit mit der Kreisverwaltung und auch mit dem Internationalen Bund, der mehrere Asylunterkünfte betreibt. Einzelnen Helfern sollen schon Hausverbote erteilt worden sein. Verschiedene Willkommenskreise beschweren sich, der Landkreis behindere die private Unterbringung von Flüchtlingen, obwohl er doch glücklich sein müsste, wenn sich Bürger dazu bereit finden, eine Wohnung oder ein Zimmer an Asylbewerber zu vermieten. Im Oktober hatte ein Ehepaar vom Willkommenskreis «Get2Gether Hoppegarten» darauf aufmerksam gemacht, was für ein bürokratischer Hürdenlauf das sei. Die Eheleute hatten einen Syrer in ihrem Haus in Neuenhagen aufgenommen. Doch die Amtspost wurde dem Mann nicht dorthin geschickt.

Derartiges ärgert auch die Willkommenskreise in Neuhardenberg, Wriezen und Müncheberg. Immer wieder haben sie in der Kreisverwaltung angerufen, E-Mails geschickt und Briefe geschrieben. Dabei ging es mal um Einzelfälle und mal ums große Ganze. Geholfen habe es nicht, beklagen die Willkommenskreise. Noch immer gebe es Schwierigkeiten. So gebe es neben dem Asylheim in Neuhardenberg etwa 90 freie Wohnungen. Der Eigentümer, die örtliche Flugplatzgesellschaft, sei durchaus bereit, die Quartiere an Flüchtlinge zu vergeben. Doch die Kreisverwaltung torpediere dies. Eine Mutter aus Somalia habe mittlerweile neun Anträge auf einen Umzug gestellt. Doch die Anträge werden nicht abgelehnt - «dann könnten wir ja rechtlich dagegen vorgehen -, sondern einfach liegen gelassen, bemängelt der hiesige Willkommenskreis.

Unverständlich ist dem Willkommenskreis, wenn sich Asylbewerber eingelebt haben, im Ort Sport treiben und in einer Baufirma Arbeit angeboten bekommen und dann aus diesem Umfeld herausgerissen werden. So sei es einer albanischen Familie geschehen, die in ein Nachbardorf verlegt wurde. Der Vater müsse jetzt je eine Stunde mit dem Rad hin und zurück strampeln. Unter dieser Bedingung wollte ihn der Bauunternehmer doch noch zur Probe einstellen. Doch bei Schnee und Eis dürfte das Pendeln kompliziert werden. Eine Busverbindung besteht nicht.

Der Willkommenskreis rügt auch Unzulänglichkeiten bei der medizinischen Versorgung. Ein Beispiel: Eine Asylbewerberin habe unter starken Ohrenschmerzen, hohem Fieber und heftigem Kopfweh gelitten. Erst nach neun Wochen sei die Konsultation einer HNO-Ärztin genehmigt worden. Die Ärztin habe festgestellt, dass die Schmerzen von den Zähnen herrühren. Wieder langes und vergebliches Warten auf einen Termin beim Kieferorthopäden. Schließlich habe die Frau wegen einer Sepsis mit dem Krankenwagen zur Notoperation nach Eberswalde gemusst.

Fast überall in Märkisch-Oderland, wo Flüchtlinge untergebracht sind, engagieren sich ehrenamtliche Helfer. Mehrere Willkommensinitiativen haben sich im Oktober bei einem Treffen im Neuhardenberger Gemeindehaus vernetzt. Hinter dem Netzwerk stehen ungefähr 100 Bürger. Bei ihren Besprechungen haben sie herausgefunden, dass sie sich überall mit den selben Problemen herumschlagen müssen. Beispiel Taschengeld: Die Ausländerbehörde gibt Schecks aus, die auf der Sparkasse eingelöst werden müssen. Am Schalter der Filiale in Seelow warten manchmal sieben oder acht Asylbewerber, hat Neuhardenbergs Linksfraktionschef Mario Eska beobachtet. Hinten in der Schlage murren dann einige Einheimische, weil das so lange dauert. So schüre die Behörde Ressentiments, bedauert Eska. Dabei seien Konten für Flüchtlinge eröffnet worden. Der Landkreis weigere sich aber, das Geld zu überweisen.

Der Verwaltungsaufwand für die Umstellung der Zahlungsweise sei im Moment zu hoch, begründet Landrat Gernot Schmidt (SPD) das Vorgehen. Auf Beschwerden und offene Briefe reagierten Schmidt und Sozialdezernent Lutz Amsel (LINKE) mit Briefen, in denen sie Vorhaltungen beleidigt zurückwiesen und ihrerseits Vorwürfe machten. So nannte Dezernent Amsel allein die Frage, ob der Landkreis mit der Art der Auszahlung des Taschengeldes Konflikte provozieren wolle, eine »bodenlose Unverschämtheit«. Landrat Schmidt drohte nebulös mit Konsequenzen, falls die Willkommensinitiativen ihre Unterstellungen nicht unterlassen.

Auf Nachfrage schlägt Lutz Amsel jedoch versöhnliche Töne an. »Ohne die Willkommenskreise würden wir die Arbeit vor Ort gar nicht hinbekommen«, lobt er ausdrücklich. Zu den gegenseitigen Anschuldigungen sagt er: »Ich sehe das alles nicht so verbissen.« Amsel empfiehlt, auf den Schriftwechsel möglichst zu verzichten und die wertvolle Zeit beider Seiten besser dafür zu nutzen, die Flüchtlinge zu versorgen und Neonazis gemeinsam entgegenzutreten. Man müsse doch unbedingt zusammenhalten, findet Amsel, besonders nachdem unbekannte Täter in Neuhardenberg die Autos ehrenamtlicher Helfer angezündet haben. Seitdem rät die Polizei den Ehrenamtlichen, sich sicherheitshalber in Zeitungen nicht mehr namentlich zitieren zu lassen.

2000 Asylbewerber leben in Märkisch-Oderland, davon 700 in Wohnungen, erklärt Amsel. Den Willkommenskreisen fehle der Überblick. So mussten Flüchtlingsfamilien von Müncheberg nach Strausberg umziehen, damit Turnhallen, die mit alleinstehenden Asylbewerbern belegt waren, freigezogen werden konnten. In Einzelfällen sind Fehler unterlaufen, räumt Amsel bereitwillig ein. »Manchmal hakt es auch an Holzköpfigkeit in der Verwaltung.« Amsel beklagt jedoch, wenn sich die Willkommensinitiativen daran »hochziehen« und nicht sehen wollen, was der Landkreis insgesamt leiste. So gehe Märkisch-Oderland bei der medizinischen Versorgung weit über das Asylbewerberleistungsgesetz hinaus, das lediglich eine Therapie bei akuten Schmerzen und lebensbedrohlichen Krankheiten vorsehe. Der Landkreis behandele die Flüchtlinge wie gesetzlich Krankenversicherte. Auch Deutsche müssten leider zuweilen lange auf einen Arzttermin warten.

Der Dezernent hebt hervor, dass in Märkisch-Oderland fast alle kleinen Flüchtlingskinder eine Kita besuchen, was bundesweit beinahe einmalig sei. Die Vorteile liegen für Amsel auf der Hand: »Die Kita ist die billigste Integration. Die Kinder lernen dort spielerisch Deutsch. Ein paar Pimperlinge kostet das. Extra Deutschkurse später in den Schulen sind viel teurer.«

Nicht bei allen, aber bei vielen Flüchtlingshelfern genießt Amsel einen ausgezeichneten Ruf. Sie bescheinigen ihm, wirklich engagiert zu arbeiten, in der eigenen Behörde allerdings isoliert zu sein. Daran stimmt zumindest, dass Amsel ein Chef auf Abruf ist. Seine Amtszeit endet am 14. Dezember. Ein Nachfolger ist bereits gewählt. Amsel hätte durchaus noch weitergemacht, aber das rot-rote Bündnis im Kreistag ist Geschichte. Die SPD hat sich als neuen Partner die CDU ausgesucht und dies spiegelt sich in der Personalpolitik wider.

Aus dem Neuhardenberger Asylheim stürzt ein Wachschützer und will von dem fotografierenden Journalisten wissen, wer er sei und wozu er die Bilder mache. Zu solcher Aufmerksamkeit hält der Landkreis die Heimbetreiber an. Denn es könnte sein, dass Neonazis die Lage auskundschaften, um einen Anschlag zu planen. Die Vorsicht ist also verständlich - verblüffend aber die Auskunft, dass gar nicht mal die Flüchtlingsfeinde Ärger machen, sondern vielmehr Mitmenschen, die Asylbewerber nur über deren Rechte aufklären und nie über deren Pflichten.

Das Zerwürfnis mit dem Internationalen Bund ist tragisch, denn vor der Inbetriebnahme der Asylunterkunft freute sich der damalige Heimleiter Maik Boldau, wie Anwohner einen Begrüßungsimbiss, Ortsrundgänge und Filmabende planten. »Das ist paradiesisch hier«, schwärmte er im Dezember 2014. Neuhardenberg galt als vorbildlich in jeder Hinsicht.

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