Sonderfall Schlossgarten
Velten Schäfer über das jüngste Urteil zum »Schwarzen Donnerstag« in Stuttgart
Es bleibt beschämend, dass die Polizisten straflos bleiben, die am 30. September 2010 friedlichen Demonstranten im Stuttgarter Schlossgarten mit einem Wasserwerfer so zusetzten, dass jemand sein Augenlicht verlor. Dennoch ist das jüngste Urteil in der Causa »Schwarzer Donnerstag« höchst erfreulich: Es war grundsätzlich rechtswidrig, die Protestversammlung gegen den Bau des umstrittenen Milliardenbahnhofes in der Südwestmetropole einfach abzuräumen, befand das dortige Verwaltungsgericht. Denn in diesem Land gibt es Versammlungsfreiheit.
Nun dürfen nun die Opfer der damaligen Übergriffe zumindest auf finanzielle Entschädigung hoffen. Und die grün-rote Landesregierung täte gut daran, sich schnell und großzügig zu jener außergerichtlichen Einigung bereitzufinden, die die Geschädigten anstreben. Die Forderung von 100.000 Euro, die etwa der Geblendete offenbar erhebt, ist nun wirklich schwäbisch bescheiden. Zu verantworten hat den Fall ohnehin die schwarz-gelbe Vorgängerregierung, deren Agieren derzeit im Parlament untersucht wird.
Auch wenn eine strafrechtliche Würdigung wohl unterbleibt, ist die Akribie vorbildlich, mit der die Vorgänge in Stuttgart bearbeitet werden. Nur wird diesem Vorbild in Deutschland zu selten gefolgt. Das Agieren der hiesigen Polizei ist zwar mit dem etwa der US-amerikanischen nicht zu vergleichen. Doch sind Aktionen wie die in Stuttgart auch hierzulande nicht unbedingt selten. Dass dieser besonders brutale und nun als widerrechtlich erkannte »Einsatz« so breit skandalisiert wurde, lag wohl an besonderen Umständen: Die hier angegriffene Protestbewegung war so tief in der Stadtgesellschaft verankert, dass die üblichen Rechtfertigungsfloskeln vom leider alternativlosen Durchgreifen gegen tendenziell gefährliche Störer in der Öffentlichkeit nicht verfingen. Das hatten die Verantwortlichen offenbar unterschätzt.
Der Schwarze Donnerstag im Stuttgarter Schlossgarten ist in diesem Sinne kein Einzel-, sondern ein Sonderfall. Und sollte als solcher verallgemeinert werden. Denn den Rechtsstaat erkennt man an der Unschuldsvermutung – nicht zuletzt für Demonstranten. So wenig mehrheitsfähig ihr Anliegen auch sei.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.