Jetzt möglichst zügig...

Bundesstiftung »Flucht, Vertreibung, Versöhnung« - ein Elend ohne Ende?

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.
Das Thema Flucht und Vertreibung ist derzeit aktuell wie lange nicht mehr. Um ihren Inhalt zu begreifen, wäre auch die Aufarbeitung der Geschichte hilfreich. Doch die spezielle deutsche Stiftung versagt.

Derzeit sind allein in Deutschland 950 000 Schutzsuchende registriert worden. Der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Roger Lewentz (SPD), rechnet mit mehr als einer Million Flüchtlinge noch vor Weihnachten. Ihnen Obdach zu bieten und die Chance zur Integration einzuräumen, ist eine gewaltige Herausforderung. Gewiss ließen sich in der Geschichte, auch der eigenen deutschen, Hinweise zu einem friedvollen, konstruktiven Umgang miteinander finden. Oder auch das Gegenteil. Was zumindest helfen kann, Fehler zu vermeiden.

Seit Ende 2008 gibt es in Berlin eine Bundesstiftung »Flucht, Vertreibung, Versöhnung«. Schon ihre Gründung war begleitet von intensiven politischen Debatten, die auch außerhalb deutscher Grenzen zum Teil sehr erbittert geführt worden sind. Im entsprechenden Gesetz wies man dem Gremium den Auftrag zu, »im Geiste der Versöhnung die Erinnerung und das Gedenken an Flucht und Vertreibung im 20. Jahrhundert im historischen Kontext des Zweiten Weltkrieges und der nationalsozialistischen Expansions- und Vernichtungspolitik und ihren Folgen wachzuhalten«.

Sinnstiftend?

Die Stiftung »Flucht, Vertreibung, Versöhnung« ist mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung »Deutsches Historisches Museum« am 30. Dezember 2008 als Stiftung des öffentlichen Rechts in Berlin errichtet worden. Das Deutschlandhaus in Berlin-Kreuzberg soll das Ausstellungs-, Dokumentations- und Informationszentrum beherbergen.

Eigentlich soll die Stiftung eine Dauerausstellung über die Vertreibung von 60 bis 80 Millionen Menschen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erarbeiten. Doch noch immer kann man sich nicht über die Inhalte einigen. Was zugegeben auch schwer ist, weil von Anfang an dem Bund der Vertriebenen (BdV) im Stiftungsrat eine gewisse Vorherrschaft und damit der Aufarbeitung eine eindeutige politische Orientierung eingeräumt wurde.

Der BdV schickt sechs Vertreter in das Gremium, das aus 21 Mitgliedern besteht. 19 von ihnen werden vom Bundestag gewählt. Insgesamt ist das Wahlverfahren durch den Bundestag höchst undemokratisch. Das Parlament kann nämlich nur über einen Gesamtvorschlag entscheiden und ist gezwungen, entweder mit einem »Ja«, also auch zur Übermacht des BdV zu stimmen oder mit einem »Nein« zu votieren - womit man zugleich die von den Kirchen und dem Zentralrat der Juden benannten Vertreter ablehnt.

Innerhalb der Bundesrepublik ist die Gründung einer solchen Stiftung weithin vergessen. Doch bei den Nachbarn Deutschlands schwelt der Ärger weiter. Sie befürchten nicht zu unrecht, dass vor allem die Flucht und die Vertreibung Deutscher am Ende des Zweiten Weltkrieges thematisiert werden sollen. Sie wollen jedoch auch das Leid ihrer Völker, hervorgerufen vor allem durch den Überfall Deutschlands, respektiert und dargestellt wissen. Noch liegt nichts vor, was man begutachten könnte. Die Stiftung erfüllt ihren Auftrag seit nunmehr sieben Jahren nicht. Sie beschäftigt sich ausschließlich mit sich.

Vor einigen Tagen gab es mal wieder eine Sitzung des Stiftungsrates. Im Anschluss erklärte deren Vorsitzende, Kulturstaatsministerin Prof. Monika Grütters (CDU), dass Einigkeit bestanden habe, »jetzt möglichst zügig eine Lösung für den Direktorenposten zu finden«. Zugegeben, Grütters hat das Dilemma mit der Stiftung nur zum Teil zu verantworten, sie hat es geerbt. Doch auch ihr kommt nur in den Sinn, »eine Findungskommission einzusetzen, der je ein Vertreter der in den Stiftungsrat Mitglieder entsendenden Gruppen angehören soll«. Bis zum Antritt eines neuen Direktors oder einer neuen Direktorin wurde Uwe Neumärker als interimistischer Leiter mit den Befugnissen eines Direktors bestätigt.

Das Amt kann er vermutlich noch lange ausfüllen, ohne dass sich irgendetwas bewegt. Innerhalb nur eines Jahres wurden bei der Stiftung zwei reguläre Direktoren eingesetzt und entlassen. Der erste, Manfred Kittel, Geschichtsprofessor an der Universität Regensburg, hatte sich mit seinem Beraterkreis nicht verstanden. Der Direktor des Willy-Brandt-Hauses in Wroclaw, Krzysztof Ruchniewicz, und der Warschauer Historiker Pjotr Madajczyk äußerten die von Anfang an bestehende Sorge, dass die Opferrolle der Deutschen überhöht werden soll. Grütters entließ Kittel.

Seinem Nachfolger Winfried Halder, einem »Konsenskandidaten«, den man unter 40 Bewerbern ausgesucht hatte, eilte Lob voran. Lob vom Bund der Vertriebenen. Der bislang unterschwellige Konflikt eskalierte. Aus Protest gegen Halders Ernennung traten fünf der 14 Mitglieder des wissenschaftlichen Beraterkreises zurück. Darunter beide polnischen Vertreter. Die Internationalität des Gremiums ist nur noch einer Farce. Zu allem Überfluss winkte dann auch noch Halder ab. Er bleibe lieber in Düsseldorf Direktor der »Stiftung Gerhart-Hauptmann-Haus - Deutsch-osteuropäisches Forum«.

Grütters, die in ihrem Amt an der Seite von Angela Merkel im Kanzleramt insgesamt eine sehr hilflose Figur abgibt, soll nur mit den Schultern gezuckt haben: Dann finden wir eben einen neuen Kandidaten. Doch das ist wohl nicht ganz so einfach. Schließlich wird der künftige Direktor zuerst seinen wissenschaftlichen Beraterkreis auffüllen müssen. Und zwar mit renommierten ausländischen Experten.

Mit einiger Spannung kann man abwarten, ob sich in Polen überhaupt jemand findet, der sich der deutschen Vertriebenenstiftung anschließen will. Dass in Warschau gerade eine neue Regierung ins Amt gekommen ist, die vermutlich noch weniger Sympathien für die deutsche Opferrolle im Zweiten Weltkrieg entwickelt, wird die Suche nicht einfacher machen.

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