Vier Geister wecken Wrocław auf

Kulturhauptstadt 2016

  • Jens Mattern
  • Lesedauer: 2 Min.

Lautes Hämmern und Bohren schallt über den spätgotischen Marktplatz - schließlich muss die Tribüne für die Eröffnungsfeier von Wrocław als »Europäische Kulturhauptstadt 2016« bald fertig sein. Am 17. Januar werden vier große Umzüge auf das Zentrum zustreben. Es ist eine Inszenierung des britischen Regisseurs Chris Baldwin. Sie soll das Erwachen der Stadt durch vier Geister symbolisieren, die ihr Wesen ausmachen: »Innovation«, »Wiederaufbau«, »Hochwasser« und - mit Bezug auf Religionen - »viele Bekenntnisse«.

Wrocław hat in seiner wechselvollen Geschichte mit deutschen, polnischen, tschechischen und ungarischen Herrschern zahlreichen Glaubensgemeinschaften Platz geboten. Zu sehen ist das im »Viertel der vier Religionen«, wo verschiedene Gotteshäuser zugänglich sind.

Die Vielfalt der Stadt kommt auch im Musiktheaterprojekt »Stimme der Ausgeschlossenen« zum Ausdruck. »Der Name klingt ein wenig hart«, räumt Regieassistentin und Produzentin Zofia Dowjat ein. Ein Teil der Wrocławer, vor allem alte Menschen, seien aus dem Kulturleben ausgeschlossen, erläutert sie den Hintergrund des Projekts.

Im kommenden Jahr wird nun Henry Purcells Barockoper »Die Feenkönigin« mit älteren Menschen, Kindern aus Heimen und Vertretern von Minderheiten zusammen aufgeführt. Darunter seien viele orthodoxe Ukrainer sowie eine Gruppe von älteren, zumeist evangelischen deutschen Damen, die vor Kriegsende in Wrocław, damals Breslau und drittgrößte Stadt Deutschlands, geboren wurden.

Die meisten Musikfreunde aber wird es im Kulturhauptstadtjahr wohl zum Herzstück der Hochkultur ziehen, dem neu erbauten »Nationalen Musikforum«. Auftritte des London Symphony Orchestra und der Wiener Philharmoniker gelten als Höhepunkte.

Doch auch auf Misstöne muss sich die südwestpolnische Stadt gefasst machen: Wrocław ist bekannt für eine aktive rechte Szene. Die rechtsextreme Organisation »Nationalradikales Lager« nutzte erst kürzlich den Marktplatz als Bühne für ihre ausländerfeindlichen Parolen. Die Stimmung richtet sich gegen Flüchtlinge, obwohl die wenigen Iraker und Syrer in der Stadt bereits nach Deutschland weitergezogen sind.

In ganz Polen ist nach dem Wahlsieg der nationalkonservativen Partei »Recht und Gerechtigkeit« (PiS) der Ton konfrontativer geworden. Der neue Kulturminister Piotr Glinski wollte bereits Ende November eine Aufführung von Elfriede Jelineks »Der Tod und das Mädchen« im Wrocławer Teatr Polski verbieten lassen; er störte sich an pornografischen Handlungen auf der Bühne. Den Einfluss der Politik spürt man im aktuellen Kulturleben. Karol Pecherz, Künstler, Herausgeber eines Literatur-Magazins und Organisator von Slam-Poetry, lässt das Publikum Gedichte zu Begriffen wie »Präsident« und »Polsat« schreiben, dem oppositionellen Sender. Die Texte werden dann im Wettbewerb vorgetragen und ernten viel Gelächter und Applaus. epd/nd

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