Werbung

Von der Straße auf die Straße

Obdachlosunterkunft zum 31. Januar gekündigt / 32 Bewohner betroffen

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 3 Min.
Ein Hausbesitzer will mit Flüchtlingen mehr Geld verdienen. Die bisher in dem Haus wohnenden Obdachlosen fordern solidarisch geeignete Unterkünfte für Alle.

»Das ganze Soziale bricht weg«, sagt Frank, der erst im September aus seiner Weddinger Wohnung zwangsgeräumt wurde. Das Bezirksamt Mitte brachte ihn im »Gästehaus Moabit« unter, einer Obdachlosenunterkunft in der Berlichingenstraße 12, unweit der Beusselstraße.

Doch Mitte Dezember kam die nächste Kündigung. In wenigen Sätzen teilte der Betreiber mit, dass ihm selbst gekündigt worden sei und daher alle Zimmer zum 31. Januar zu räumen seien. Gehen will jedoch keiner. »Bevor ich hierher gekommen bin, hatte ich solchen Ärger mit meinem Sozialarbeiter. Hier habe ich Ruhe und sogar eine Meldeadresse«, sagt ein anderer Bewohner.

Das Gästehaus ist nicht unbedingt das, was man sich landläufig unter einer Obdachlosenunterkunft vorstellt. Jeder hat sein eigenes Zimmer in dem klassischen Altbau, der schon seit Mitte der 1980er Jahre diesem Zweck dient. Viele wohnen seit Jahren hier, einige sogar über ein Jahrzehnt. Das Haus ist schäbig, aber nicht dreckig.

Im vierten Stock treffen sich an diesem Abend Hausbewohner und Aktivisten, unter anderem vom »Bündnis Zwangsräumung verhindern«. Es wird beraten und erzählt. Die Wohnungsnotstelle habe ihm ein Ersatzzimmer angeboten, das er sofort beziehen müsste, berichtet Frank. »Ich bin hier mit 20 Möbelkartons eingezogen. Die glauben wohl, dass ich den Umzug mit einer Plastiktüte mache«, sagt er.

22 Euro pro Person und Tag zahlt die Fachstelle für Obdachlosenhilfe dem aktuellen Betreiber, der das ganze Haus bei der Verwalterin Berolina Grundbesitz GmbH gemietet hat. Das ergibt eine Warmmiete von etwa 30 Euro pro Quadratmeter für Alleinlebende. Mit mehreren Personen im Raum, wie bei Flüchtlingsfamilien üblich, vervielfacht sich die Rendite. Damit konnte die auf Flüchtlingsunterbringung spezialisierte Moabiter Gikon die Hauseigentümer überzeugen, künftig an sie zu vermieten.

»Wir kämpfen solidarisch darum, dass Flüchtlinge und Obdachlose geeignete Unterkünfte bekommen«, sagt Micha, in dessen Zimmer das Treffen stattfindet. Mit Stephan von Dassel, dem Grünen-Sozialstadtrat von Mitte, haben die Bewohner einen Verbündeten. »Die Mehrzahl von ihnen ist schwer alkoholkrank, die kann man nicht schnell irgendwo anders unterbringen«, sagt er. Zumal die Einrichtung auch »gut integriert« sei und es keine Beschwerden gebe. »Ich habe die Eigentümer bereits angeschrieben und sie in dem Brief mit der Möglichkeit einer Beschlagnahmung konfrontiert.«

Eine dauerhafte Unterbringung der Obdachlosen könne so allerdings nicht gesichert werden. Das Haus sei rechtlich ein Gewerbeobjekt und kein Wohnhaus. »Spätestens im Sommer wird uns ein Gericht sagen, dass ein halbes Jahr Aufschub ausreichend sei«, sagt der Stadtrat.

Eine Sache unterschätzt der Eigentümer nach Stephan von Dassels Ansicht bisher völlig: »Wenn die Obdachlosen rausgehen und dann gehen die Flüchtlinge rein, entfällt der Bestandsschutz.« Die Anpassung an heutige Standards würde kostspielige Umbauten nach sich ziehen.

Auch der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende von Mitte, Thorsten Lütke, befürwortet eine Beschlagnahmung, wenn es keine Alternative gebe. »Es kann nicht sein, dass nur auf Grund finanzieller Interessen des Eigentümers ein Obdachlosen-Projekt gefährdet wird.«

Der Fall ist nicht nur bei den Bezirksverordneten, sondern auch bei den Bewohnern von Moabit Gesprächsthema, wo die Gentrifizierung in vollem Gang ist.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal