Kinder ohne Knete

Landesarmutskonferenz bat zu einem Vor-Ort-Termin in die Frankfurter Kita «Spatzenhaus»

  • Wilfried Neiße
  • Lesedauer: 4 Min.
Wer armen Kindern helfen will, der muss ihre Eltern «an die Hand nehmen». Die Landesarmutskonferenz hat unter dem Motto «Kinder ohne Knete» Journalisten und Politiker mit Betroffenen zusammengeführt.

Etwa die Hälfte der 180 Kinder in der Kita «Spatzenhaus» in Frankfurt (Oder) stammt aus Haushalten, die nach heutigen Maßstäben arm sind. «Ich muss daher darauf achten, dass wir nur solche Veranstaltungen durchführen, die sich alle leisten können», sagt Leiterin Karin Muchajer. Sie und ihr 27 Mitarbeiter stünden nicht selten vor der Wahl, Spielzeug zu kaufen oder gemeinsame Veranstaltungen so zu finanzieren, dass sie für alle erschwinglich sind.

Zehn Jahre lang stand das Gebäude im früheren DDR-Neubaugebiet leer, bevor es der eigenständige Verein «Unsere Welt» gemeinsam mit einer Wohnungsbaugesellschaft erworben und ausgebaut hat. An diesem Freitag gibt es Fisch und Reis. Jedes Kind nimmt sich seine Portion aus einem großen Topf. «Die Kinder bestimmen bei uns mit, was auf den Tisch kommt», sagt die Chefin.

Frankfurt (Oder) ist in Brandenburg die Hochburg der Kinderarmut. Nach dem Zusammenbruch der Solarindustrie fehlen dort jährlich 30 Millionen Euro Steuern im Stadthaushalt. Mit Hilfe eines kommunalen Zuschusses kann dennoch der Preis für ein Mittagessen in der Kita bei 1,30 Euro gehalten werden.

Kommen auch Flüchtlingskinder in die Kita? «In Frankfurt sind es relativ wenige», sagt Muchajer. Sie könne das aber verstehen. Wer aus einem Kriegsgebiet in eine völlig fremde Welt komme, der neige nicht dazu, gleich seine Kinder wegzugeben.

«Die Flüchtlinge bekommen alles in den Arsch geschoben - für unsere Kinder ist nichts mehr da», ereifert sich eine Mutter, die zur gemeinsamen Gesprächsrunde mit Brandenburgs Sozialstaatssekretärin Almuth Hartwig-Tiedt (LINKE) und dem Sprecher der Landesarmutskonferenz Andreas Kaczynski gekommen ist. Dabei bezieht sie sich auf die schriftliche Aufforderung der Stadt, die Schulbücher ihrer Tochter nach Ablauf des Schuljahres Flüchtlingskindern zur Verfügung zu stellen.

Es könne keine Rede davon sein, dass für deutsche Kinder nichts mehr getan werde, entgegnet Hartwig-Tiedt. Sie verweist auf den Runden Tisch gegen Armut, der mit einer halben Million Euro ausgestattet worden sei. Die rot-rote Landesregierung habe als eines ihrer Hauptziele die Verringerung der Armut im Lande formuliert. Frankfurts Sozialdezernent Jens-Marcel Ullrich (SPD) fügt hinzu: «Wo etwas getan werde, da gibt es auch Fehler.» Die Formulierung in dem Schreiben sei leider missverständlich gewesen. Natürlich könne die Frau die keineswegs billigen Schulbücher für die jüngeren Geschwister aufheben. Zum Geldmangel komme die Unfähigkeit vieler Eltern, ihre Kinder zu erziehen, sagt Ullrich. «Wir müssen auch die Eltern an die Hand nehmen.»

«Wer Hilfe benötigt, der wird Hilfe bekommen, denn er hat ein Recht darauf, ergänzt der Landtagsabgeordnete René Wilke (LINKE). Die Regierung werde tun, was in ihrer Macht steht. Die Koalitionsfraktionen SPD und LINKE haben beschlossen, dass die Hilfe für die Flüchtlinge nicht auf Kosten der Leistungen für die Brandenburger gehen solle.

Tatsächlich ist Kinderarmut in Brandenburg seit zweieinhalb Jahrzehnten ein ungelöstes soziales Problem. Und wenn auch - offenbar durch die Einführung des Mindestlohnes - ihr Ausmaß in jüngster Zeit etwas gesunken ist, so kann von einer positiven Gesamtlage keine Rede sein.

Laut Sozialministerium beträgt die Armutsgefährdungsquote für Kinder in Brandenburg zwischen 24 und 26 Prozent, in Sachsen-Anhalt seien es 29 Prozent und in Mecklenburg-Vorpommern sogar 33,5 Prozent. In Westdeutschland ist die Armutsgefahr für Kinder im Schnitt nur etwas mehr als halb so hoch.

Jürgen Weber vom Hartz-IV-Betroffenen-Verein Potsdam protestiert dagegen, dass Kinder mit dem Hartz-IV-Satz nicht auch noch das Kindergeld bekommen, weil es »gegengerechnet« wird. »Dann muss man sich über Kinderarmut nicht wundern.«

»So ist die Rechtslage«, bedauert Bildungsminister Günter Baaske (SPD). Auch für ihn ist die errechnete Geldsumme für ein Kind fragwürdig, weil zu gering.

Staatssekretärin Hartwig-Tiedt kennt das Problem: »Wir sind mit einer Initiative im Bundesrat dagegen gescheitert, und erneute Schaufensteranträge bringen nichts.« Andreas Kaczynski, Sprecher der Landesarmutskonferenz, erläutert, der Betrag für Hartz-IV-Kinder sei vom Regelsatz für Erwachsene abgeleitet, »berücksichtigt eine Reihe von Bedürfnissen nicht, und ist künstlich niedrig gehalten«. In den Genuss von Kindergelderhöhungen kämen arme Familien nie. Das System der Zuschüsse sei in Deutschland so aufgebaut, dass den Besserverdienenden deutlich höhere Zuschüsse für ihre Kinder zugestanden würden beziehungsweise dass sie bedeutende Freibetragssummen für sich verbuchen könnten, bemängelt Kaczynski.

Das Ziel der beitragsfreien Kita für alle sehe er vor diesem Hintergrund kritisch. »Arme Familie zahlen ohnehin keinen oder nur einen sehr geringen Kita-Beitrag. Ich bin nicht dafür, Gruppen zu entlasten, die das nicht nötig haben.« Sinnvoller wäre es, das Geld in eine bessere personelle Ausstattung der Kindereinrichtungen zu stecken, betont er.

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