Mutige Sieben

Annotiert

  • ⋌Peter Nowak
  • Lesedauer: 2 Min.

Seit Jahr und Tag kämpft die stadtpolitische Gruppe »Dragopolis« gegen den Bau teurer Eigentumswohnungen auf dem Dragonergelände in Berlin-Kreuzberg. Jüngst aber widmete sie sich einem geschichtspolitischen Thema. Gemeinsam mit der » Initiative Gedenkort Januaraufstand« erinnerte sie an einen ungesühnten Mord vor 97 Jahren. Am 11. Januar 1919 sind sieben unbewaffnete Parlamentäre feige ermordet worden. Sie waren von den Verteidigern des Domizils der SPD-Zeitung »Vorwärts« auf jenem Areal während der Januarkämpfe ausgesandt, um die Kapitulation mit den Regierungssoldaten auszuhandeln. Die Opfer waren der Journalist Wolfgang Fernbach, der Mechaniker Karl Grubusch, der Schmied Walter Heise, der Kutscher Erich Kluge, der Klempner Werner Möller, der Werkzeugmacher Arthur Schöttler und der Schlosser Paul Wackermann.

Auf der Gedenkveranstaltung wurde aus zeitgenössischen Dokumenten zitiert, darunter aus Erinnerungen der persönlichen Vertrauten und Nachlassverwalterin von Rosa Luxemburg, Mathilde Jakob, wie auch aus der dreibändigen »Geschichte der Novemberrevolution«, die der Vorsitzende der betrieblichen Räteorganisation »Revolutionäre Obleute« Richard Müller Mitte der 1920er Jahre veröffentlichte (2011 im Verlag »Die Buchmacherei« wieder aufgelegt). Müller beschrieb detailliert, wie die sieben Parlamentäre gezwungen wurden, sich vor ihrer Erschießung zu entkleiden; die Soldaten nahmen ihnen zudem alle Wertsachen ab. Als anschließend die Verteidiger des »Vorwärts« mit erhobenen Händen aus dem Gebäude kamen, wurden sie »unter scheußlichen Misshandlungen« in die Dragonerkaserne getrieben und dort zunächst in einem Stall interniert ...

Auf einigen zeitgenössischen Fotos, die auf der Gedenkveranstaltung präsentiert wurden, waren bereits an Fahrzeuge der Freikorps gemalte Hakenkreuze zu sehen. Der Journalist und Historiker Sebastian Haffner sah in der brutalen Gewalt gegen die Arbeiter, die im Januar 1919 ihre Revolution - auch wider die SPD-Führung - retten und fortführen wollten, den Auftakt für die vielen Morde der Reaktion in den folgenden Jahren sowie ein Menetekel für den Staatsterror in der NS-Zeit.

Dies lässt sich auch gut am Schicksal der Mathilde Jakob ablesen. Mehrfach bereits in der Weimarer Republik verhaftet, wurde sie von den Nazis als Jüdin nach Theresienstadt deportiert, wo sie mit 70 Jahren starb. Mittlerweile trägt ihren Namen ein Platz in Moabit, wo sie lange wohnte. An die ermordeten »Vorwärts«-Parlamentäre erinnert heute nur eine Tafel am Eingang des auf dem Dragonergelände befindlichen Finanzamtes Friedrichshain-Kreuzberg. Das soll sich ändern. »Dragopolis« will sich dafür einsetzen, dass bis zum 100. Jahrestag des feigen Mordes vom 11. Januar Wege auf dem weiträumigen Dragonergelände nach den Opfern benannt werden.

Peter Nowak

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