Neukölln hat Schaum vorm Mund

  • Christian Baron
  • Lesedauer: 3 Min.

Seit Neuköllns ehemaliger Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky jeden Freitag seinen »Klartext« beim »Berliner Rundfunk 91.4« in den Äther quietscht, ärgere ich mich schon beim morgendlichen Zähneputzen über den omnipräsenten Radiorechtsdrall dieser Stadt. Erst neulich forderte er aufgrund der Kölner Silvesternacht mehr Härte der Justiz und schnellere Abschiebungen aus dieser politisch viel zu korrekten »Gesellschaft der Gutmenschen«.

Da ich mich in einer wissenschaftlichen Arbeit kritisch mit solchem Rechtspopulismus befasse, so dachte ich, sollte ich mir doch endlich mal Buschkowskys schon ewig auf dem heimischen Stapel vor sich hin staubendes Buch »Neukölln ist überall« zu Gemüte führen - und packte es noch schnell in den Rucksack, um das Ding in der S-Bahn durchzublättern. Eine Frau, die mir gegenüber saß und die »taz« las, schaute mich geringschätzig an. Alle paar Sekunden scharrte sie unruhig mit ihren Gesundheitsschuhen auf dem bierbefleckten Boden, bis sie allen Mut zusammennahm und mich ansprach.

Wobei »ansprach« als Beschreibung ihrer Artikulationsweise die Untertreibung der Biogrünkohlsaison wäre. Ob ich denn nicht wisse, wie der Autor schamlos rassistische Vorurteile bediene? Oder unterstütze ich etwa ernsthaft diesen Nazi-Dreck? Mein reflexhaftes, eher scham- denn boshaftes Grinsen stachelte sie offenbar noch weiter an: Gehöre ich also wirklich zu diesen »Ich hab ja nix gegen Muslime, aber«-Typen? Frauenverachtend sei ich dann ja sicher auch noch!? Sie klatschte ihre Zeitung auf den Sitz und erhob sich.

Ich sag dir jetzt mal was, schrie sie nun, und natürlich duzte sie mich, denn so macht das die grün-alternative Szene in Berlin mit Freund und erst recht mit Feind; ich sag dir jetzt mal was, brüllte sie also, während ich mich hinter dem auf dem Cover abgebildeten Griesgramblick des Autors zu verstecken versuchte, diesen scheiß Rassismus kannst du dir in deine Glatze schmieren! (Wintermützen sehen auf meinem Kopf leider immer so aus, als sei mir das Haupthaar längst ausgegangen.)

Wann auch immer, schloss die aufgebrachte Frau, dein Held Buschkowsky wieder bei uns in Neukölln auftritt, werden wir von der Grünen Jugend da sein! Bevor ich zu meiner Verteidigung ansetzen konnte, sprang sie am Bahnhof »Sonnenallee« aus dem Wagen. Während ich durchatmete, beobachteten mich die anderen Fahrgäste, deren schockierten Blicken nicht anzusehen war, ob sie in mir nun Opfer oder Täter sahen.

Mögen es rechte Schlechtmenschen sein oder sich links nennende Bessermenschen, so musste ich lernen, beide eint die Lust am aggressiven Ausleben ihrer irren Vorurteile. Ist das ein auf Berlin beschränktes Phänomen? Für meine Reise nach Dresden am kommenden Wochenende werde ich bei der Bahnlektüre jedenfalls vorsichtshalber umdisponieren. Obwohl ich ihn eigentlich schon lange einmal genau lesen wollte, wird er auf dieser Fahrt definitiv nicht dabei sein, der Koran.

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