Wegen 59,09 Euro zum Verfassungsgericht

Richter Jes Möller zieht Jahresbilanz und informiert über mündliche Verhandlung zu einer Beschwerde der AfD

  • Wilfried Neiße
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Außenstände eines Handwerkers beschäftigen das Landesverfassungsgericht ebenso wie die umstrittene Hochschulfusion in der Lausitz.

Obwohl das Bundesverfassungsgericht die brandenburgischen Verjährungsfristen für Altanschließer für unzulässig lang erklärte, gibt es für die märkischen Verfassungsrichter kein Kleinbeigeben. »Ich würde jeden Satz, jedes Wort im Urteil noch einmal so schreiben«, antwortete Gerichtspräsident Jes Möller am Mittwoch auf die Frage, ob für das Landesverfassungsgericht nicht Anlass bestehe, seine bisherige Sichtweise zu überprüfen.

Dass unterschiedliche Gerichte zu ein und derselben Sache verschiedene Urteile fällen, sei »eigentlich nichts Neues« fuhr Möller fort. »Potsdam ist nicht Karlsruhe.« Alle Gerichte könnten irren, davor seien auch die Verfassungsgerichte nicht gefeit. Dass die Glaubwürdigkeit der Landesverfassungsrichter durch die Entscheidung in Karlsruhe gelitten haben könnte, ließ Möller nicht gelten. Vor Gericht gibt es keine Gerechtigkeit, sondern ein Urteil.

Das musste ein Handwerker zur Kenntnis nehmen, der sich nicht anders zu helfen wusste und seinen Fall im vergangenen Jahr vor das Landesverfassungsgericht getragen hatte. Dass es sich dabei um lediglich 59,09 Euro Außenstände handelte, tut nichts zur Sache, sagte Möller. Eine Amtsrichterin habe dem Mann gegenüber Willkür walten lassen. Fehlerhaft wurde behauptet, die Forderung sei verjährt. Als der Mann sich an das Amtsgericht Nauen wandte, kam heraus, dass die Forderung keineswegs verjährt sei. Es wurde nun aber einfach ein anderer Grund angeführt, um den Handwerker um sein Geld zu bringen. So geht das nicht, meinte das Verfassungsgericht und hob das Urteil auf. Man könne nicht auf einmal völlig neue juristische Aspekte ins Spiel bringen, Aspekte, die zuvor überhaupt keine Rolle spielten.

Es sind vor allem die kleinen Fälle, mit denen die Verfassungsgerichte in Deutschland derzeit zugedeckt werden. Gab es 2014 in Potsdam noch 67 Eingänge, so waren es ein Jahr später schon 118. Über 77 Verfassungsbeschwerden hat das Gericht, dem als Laienrichter auch der bekannte Regisseur Andreas Dresen angehört, im vergangenen Jahr entschieden, sechsmal zugunsten der Antragsteller. Das Verfassungsgericht hob vier Entscheidungen von Amtsgerichten auf, eine Entscheidung eines Landgerichts und ein Urteil des Finanzgerichts.

Am 19. Februar findet vor dem Verfassungsgericht die mündliche Verhandlung zu einer Beschwerde der AfD-Landtagsfraktion statt. Dabei handelt es sich um ein sogenanntes Organstreitverfahren, angestrengt gegen Landtagspräsidentin Britta Stark (SPD). Die AfD hatte mehrfach versucht, einen bestimmten Abgeordneten in die parlamentarische Kontrollkommission zu entsenden, ein Gremium, das in Brandenburg den Verfassungsschutz überwachen soll. Als Fraktion besitzt die AfD das Recht, ein Kommissionsmitglied zu benennen. Zweimal hatte eine Mehrheit im Landtag den Nominierten aber die Zustimmung verweigert.

Schon älter ist das Verfahren, das fünf Professoren der Technischen Universität Cottbus gemeinsam mit 17 Abgeordneten der CDU-Landtagsfraktion gegen die vom Wissenschaftsministerium durchgesetzte Fusion der Universität mit der Fachhochschule Lausitz anstrengten. Das Pikante dabei: Auch in dieser Sache liegt ein Urteil aus Karlsruhe schon vor, denn andere Professoren hatten sich mit dem selben Anliegen dorthin gewandt. Karlsruhe sah es so, dass das Land Brandenburg durchaus Hochschulen zusammenlegen dürfe.

Aber das Landesverfassungsgericht ist an diese Entscheidung nicht gebunden, gab Möller zu bedenken. »Wir nehmen sie lediglich interessiert zur Kenntnis.« Die Bundesrichter müssen Möller zufolge das Grundgesetz schützen, die Landesrichter die Landesverfassung. In der Landesverfassung steht ein Paragraf, der die Selbstverwaltung der Hochschulen ausdrücklich festschreibt. Das Grundgesetz kennt einen solchen Passus nicht.

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