DiEM25 und der »Focus«

Wer ist hier der Totalversager? Tom Strohschneider über die Rückkehr des Varoufakis-Bashings und etwas, das eine Polit-Illustrierte für Kritik halten mag

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 4 Min.

Fakten, Fakten, Fakten - das war mal eine Werbung für die Polit-Illustrierte »Focus« und schon immer die Lebenslüge eines Magazins, das es mit den Fakten nicht so genau nimmt, wenn es darum geht, Stimmung zu machen. Stimmung gegen links zum Beispiel. Ulrich Reitz ist der Chefredakteur des »Focus« und sein Name steht unter einem täglichen Newsletter über »die wichtigsten Themen der Woche«.

Am Dienstag kippte der Kollege in die Email, was er über Yanis Varoufakis und dessen Projekt »Democracy in Europe Movement 2025« denkt: Den Ökonomen nennt er einen »politischen Totalversager«. Natürlich muss immer angemerkt werden, dass der Grieche Motorrad fährt. Es könnte ja sonst jemand diesen wesentlichen Fakt vergessen. Und irgendwie scheint immer etwas Minderweitigkeitskomplex durch, wenn deutsche Männer, die gern Alphatiere sein wollen, über Varoufakis schreiben: Man neidet ihm den »Medienrummel«, man sagt, er dürfe »sogar« in der ARD talken und beherrsche den »großen Auftritt«. Und zwar »noch immer«. Sie nicht, lieber Herr Kollege Reitz? Och menno.

»Heute Abend will er an der Volksbühne mit einigen Mitstreitern eine paneuropäische Linke ausrufen«, schreibt Reitz. »Das dafür geschriebene Manifest enthält auf sechs Seiten einige Allgemeinplätze und die üblichen Vorurteile.« Was Reitz für die »üblichen Vorurteile« hält, ist das eine. Das andere ist: Das Manifest, das er verlinkt, ist nicht einmal die letzte, dann vorgestellte Fassung. Die hat acht Seiten und nicht sechs. (In der deutschen Fassung sind es sogar 9.) Aber darauf rumzureiten wäre zu sehr »Focus«-Niveau, ein Abarbeiten an der Form - statt wirklicher Auseinandersetzung mit dem Inhalt.

Man hätte schon gern gewusst, was der »Focus«-Mann zu der von DiEM25 geäußerten Kritik sagt, dass die Volkswirtschaften der Eurozone »in den Abgrund eines Wettbewerbs um die härteste Austeritätspolitik getrieben« werden, »was zu einer anhaltenden Rezession in den schwächeren Ländern und zu Investitionsschwäche in den Kernländern führt«. Oder dazu: »In ganz Europa wachsen in ungekanntem Ausmaß Ungleichheit, Hoffnungslosigkeit und Misanthropie.« Sind das Allgemeinplätze? Oder meint Reitz, dass der Satz »Die Europäische Union war eine außerordentliche Leistung« ein Vorurteil ist?

Reitz hat noch einen anderen stumpfen Pfeil im Köcher. Dass Varoufakis »ein politischer Totalversager« sein soll, begründet er so: »Denn er kann nicht einmal Minderheiten organisieren, geschweige denn Mehrheiten. Die Zahl der Unterstützer ist gering. Selbst der frühere Attac-Aktivist und Grünen-Europaabgeordnete Sven Giegold geht auf Distanz zu Varoufakis. Die Führungsfiguren der Linkspartei vermeiden ebenfalls den Schulterschluss. Schließlich wird in drei Bundesländern bald gewählt, und niemand will deutsche Wähler verschrecken.«

Wahrscheinlich offeriert die Linkspartei genau deshalb ihren Anhängern ein Public Viewing der DiEM25-Vorstellung am Dienstagabend in Berlin. Wahrscheinlich spricht die Vorsitzende Katja Kipping genau deshalb von einem »historischen Tag«. Und zu Giegold: Ja, der Grüne hat Kritik an dem Projekt - und das ist auch gut so. Um ihn zum Kronzeugen für ein bisschen billiges Varoufakis-Bashing zu machen, muss Reitz aber unterschlagen, was Giegold auch sagt: »Eine zivilgesellschaftliche Bewegung für ein demokratischeres Europa ist begrüßenswert. Das übergeordnete Ziel, die verfehlte Austeritätspolitik durch eine demokratische gemeinsame Wirtschafts- und Finanzpolitik zu ersetzen, ist richtig.«

Fakten, Fakten, Fakten? Ach nun. Durchaus gern hätte man mal eine ordentliche Kritik von rechts an dem linken Neuaufbruch gelesen. Irgendwas mit Argumenten. Ulrich Reitz reicht es aber, ein bisschen »Focus«-Kost per Newsletter auszuteilen: »einige Allgemeinplätze und die üblichen Vorurteile«.

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