Panzerattrappe und Schießbefehl

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 4 Min.

Wenn es eine Grundregel des digitalen Medienzeitalters gibt, dann diese: Facebook bleibt nichts verborgen, und wenn es Facebook nicht registriert hat, dann bestimmt irgendein anderes soziales Netzwerk im Worldwideweb. Die zu Zeiten der kulturellen Rebellion von der 68er-Generation erhobene Forderung, das Private müsse politisch, also öffentlich, sein, ist durch die diversen Plattformen im Netz erst Wirklichkeit geworden. Das ist nicht nur für Journalisten ein zunehmendes Ärgernis, die sich von ihren Lesern, Zuhörern und Zuschauern immer häufiger vorwerfen lassen müssen, dass sie bestimmte Fakten, Inhalte, Ereignisse - ob es diese tatsächlich gibt oder nicht, ist zunächst zweitrangig - ignorieren und verschweigen. Es trifft Politiker sowieso - aber auch immer mehr sich unbescholten wähnende postende und twitternde Schwarmmitglieder. Politisch, also für alle öffentlich, wird sogar all das, was früher nur von einem begrenzten Teil der Öffentlichkeit wahrgenommen - und rasch wieder vergessen - wurde. Die daraus entstehende Dynamik, die Denken und Reden dem permanenten Druck der Überwachung durch Öffentlichkeit aussetzt, kann dabei den Einzelnen durchaus überfordern.

Das mussten dieser Tage auch zwei Männer aus dem oberbayerischen Reichertshausen (Landkreis Pfaffenhofen) erfahren. Sie hatten beim Faschingsumzug am vergangenen Sonntag mit einer Panzerattrappe mit den Aufschriften »Ilmtaler Asylabwehr« und »Asylpaket III« teilgenommen. Bevor überhaupt geklärt war, ob die beiden 30-Jährigen ihr Motiv als flüchtlingsfeindlich oder als Kritik an der Politik der Bundesregierung gegen Flüchtlinge verstanden haben wollten, schlug das Netz bereits zu. Der Schauspieler Florian Simbeck, der für die SPD im Kreistag von Pfaffenhofen sitzt, hatte Fotos von dem Wagen auf seiner Facebook-Seite veröffentlicht. Sofort brach der Shitstorm los. Das Motiv wurde als »ekelhaft« und »geschmacklos« bezeichnet.

Zu recht, wie sich einen Tag später herausstellte (da hatten die Kommentare, die das Faschingsmotiv als »rassistisch« einordneten, allerdings schon längst ihre eigene Wirklichkeit geschaffen). Dem »Donaukurier« gegenüber sagte einer der Urheber der Aktion: »Ich will nicht, dass wir uns hier in Deutschland verändern müssen. Mir gefällt es so, wie es ist.« Die kulturellen Unterschiede zwischen ihnen und den Flüchtlingen seien zu groß. Ja, auch in der analogen Welt werden die Nischen, in die sich der Einzelne zurückziehen und wo er kulturell vereinsamen darf, weniger.

Noch nicht abgeebbt ist in dieser Woche die Aufregung um die Äußerung der Vorsitzenden der rechtsnationalen AfD, Frauke Petry. Dem »Mannheimer Morgen« hatte die Politikerin auf die Frage, wie Ihrer Meinung nach ein Grenzpolizist reagieren solle, wenn ein Flüchtling sich selbst durch Zäune und Abschreckung nicht daran hindern lasse, illegal deutschen Boden zu betreten, gesagt: »Er muss den illegalen Grenzübertritt verhindern, notfalls auch von der Schusswaffe Gebrauch machen. So steht es im Gesetz«. In den Tagen nach der Veröffentlichung des Interviews war in vielen Medien davon die Rede, Petry habe einem Schießbefehl an der deutschen Grenze das Wort geredet. Petry selbst weist diese Interpretation ihrer Antwort zurück und sieht sich von den Medien verunglimpft.

In der Tat hat Petry in besagtem Interview keinen Schießbefehl gefordert. »Ich habe das Wort Schießbefehl nicht benutzt«, sagt sie auf eine entsprechende Nachfrage des »Mannheimer Morgen«, ob es in Deutschland ein Gesetz gebe, das einen Schießbefehl an den Grenzen enthalte. »Kein Polizist will auf einen Flüchtling schießen. Ich will das auch nicht. Aber zur Ultima Ratio gehört der Einsatz von Waffengewalt.«

Der Fall Petry hat mittlerweile auch den Deutschen Presserat erreicht. Dem Gremium liegt ein Beschwerde bezüglich eines Verstoßes gegen den Pressekodex vor. Dieser verpflichtet die Medien u.a. dazu, bei der Wiedergabe von Wortlautinterviews das Gesagte so zu zitieren, dass der Sinn nicht entstellt wird.

Interessant ist, dass sich kaum jemand die Mühe gemacht hat, den Wahrheitsgehalt von Petrys Behauptung zu überprüfen, der Einsatz von Schusswaffen an der Grenze sei gesetzlich erlaubt. Ein solches Gesetz gibt es, es nennt sich »Gesetz über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes« (UzwG). Allerdings ist Bundespolizisten der Einsatz von Schusswaffen lediglich zur Eigensicherung oder zur Abwehr einer »rechtswidrigen Tat« erlaubt, »die sich den Umständen nach als ein Verbrechen oder als ein Vergehen« darstellt, »das unter Anwendung oder Mitführung von Schusswaffen oder Sprengstoffen begangen werden soll oder ausgeführt wird«. Vom Schießen auf Menschen, die illegal einreisen, steht in diesem Gesetz nichts. Nur dann, wenn sich eine Person »der Überprüfung durch Flucht zu entziehen versucht« und angenommen werden kann, »dass die mündliche Warnung nicht verstanden wird«, kann diese Warnung »durch einen Warnschuss ersetzt werden«.

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