Die beschwörende Kraft der Bilder

Es ist, als ob Marc Gröszer eine Endzeit ohne Aussicht gemalt hätte - eine Ausstellung in der Galerie Pankow

  • Klaus Hammer
  • Lesedauer: 3 Min.

»Europa nach dem Regen« heißt ein großformatiges visionäres Gemälde von Max Ernst aus dem Jahr 1933 von einem verwüsteten Kontinent, auf dem alle Spuren der Zivilisation getilgt sind. Auch Marc Gröszer malt eine Welt des Unheimlichen, der Gewalttätigkeit und Zerstörung, der übergangslosen Metamorphosen, der heraufziehenden Katastrophen - Albtraumlandschaften, deformierte Gestalten, geschändete Körper, leidvolle Gesichter, orgiastische Szenen, zum Schrei geöffnete Münder. Es gelingt ihm, eine Menge psychischer Bedrohungen und Gewalttätigkeiten auf kleinem Raum zusammenzupressen - und die einmal erreichte Intensität in immer wieder anderen Metaphern und Bildern abzuwandeln. Er schafft rätselhaft-archetypische Formen, die trotz grotesker Zutaten und ironisch-maskierender Benennungen, aus vielfach verschütteten Tiefenschichten des Bewusstseins heraufgehoben werden. Unvermittelt stehen Motive verschiedener Realitätsgrade nebeneinander oder werden abrupt aus der Bildperspektive herausgehoben. Ein widerlich tropfendes Dämonenhaupt schwebt über einer wabernden Landschaft, aus der alles Leben gewichen ist (»Ein Moment der Stille«, 2015). Ein geplatzter Riesenbovist hat eine fratzenhaft wuchernde Wolke freigesetzt, die ein vom Krieg zerstörtes Ambiente verhüllt (»Der Bovist am Rande der Stadt«, 2013). Ganze Landschaften hat die Kriegsfurie veröden lassen, Menschen werden Torturen unterzogen, Kinder erbarmungslos geopfert.

Die Welt der Versteinerungen, der wuchernden Kristalle und pflanzlichen Ablagerungen, der Protoplasmen und Radiolarien, Amöben und Larven, molluskenartiger Gebilde in Bewegung, bietet Material, aus der der Maler eine erdachte Welt mit selbst erschaffenen Geschöpfen bevölkert. Es ist eine skurrile, wunderliche und einfältig-poetische Formenwelt, von Zeichen der Angst, der Gefährdung durchdrungen - und von seltsamen Metaphern der Dissonanz, Bosheit, Schamlosigkeit und Grausamkeit. Eine Sprache, den psychischen Improvisationen Max Ernsts verwandt und verbunden, mitunter ins Monumentale projiziert. Ja, Gröszer malt das Halluzinationsszenarium des veristischen Surrealismus. Collagen, die in Wirklichkeit keine sind, vielmehr in Überdeutlichkeit gemalte Banalitäten, von der Aura innerer Gesichte umstrahlt.

Gröszer kann und will sich mit der ihn umgebenden Welt nicht zufrieden geben. Er sucht das bedrückende Gefühl von Entfremdung und Überflüssigkeit des Künstlers zu überspielen und geht von dem festen Glauben an die Wirkung der Bilder und Symbole aus, an deren beschwörende, magische Kraft zur Bewusstseinsveränderung. Wenn man sich aber ganz dem Unterbewusstsein überlässt, dann kann man auch die Kontrolle verlieren. Eigentlich erwecken die Bildelemente den Eindruck, als könnten sie sich zu einer Erzählung fügen. Aber dieser verweigern sie sich. Die Sujets gleichen mitunter einem Bilderrätsel, das unauflösbar bleibt, ja der Malakt selbst ist schon das Erfinden eines Rätsels. Die - meist englischsprachigen - Bildtitel verschärfen nur noch die Entfremdung des Bildinventars. Sie führen ein Eigenleben im Kontext mit dem Bild.

Marc Gröszer - Tribut. Galerie Pankow, Breite Straße 8, Pankow, Di-Fr 12-20 Uhr, Sa/So 14-22 Uhr, bis 6. März. Katalog 18 Euro.

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